Freiboitar: Schrecken der Beatmeere

Nun sind also auch die Piraten in den Gefilden der elektronischen Tanzmusik angekommen. Die Freiboitar schicken sich an, mit starken Tracks und feinen Remixen der etablierten königlichen Elektroflotte das Fürchten zu lehren. Stampfende Beats, deepe Melodien und melancholisch-verstörende Gesänge stehen dabei auf ihrer Totenkopffahne. Und somit wird schnell klar: Die beiden sind bereit zum… doch dazu später mehr.

Von Sebastian Binder  

Mit Piraten verbindet man in der heutigen Zeit so einiges. Ruchlose Fahrten auf wilder See, brandschatzen, plündern, entern, erobern. Augenklappen, Holzbeine, Hakenhände. Robert Louis Stevenson und Jack Sparrow, Dead Man‘s Chest und die Buddel Rum, Totenkopffahnen und Störtebeker, Männer mit Messern zwischen den Zähnen und politische Parteien mit einer gewissen Internetaffinität. Aber mit guter elektronischer Musik aus deutschen Landen? Bislang wahrscheinlich noch nicht so sehr, aber zwei Jungs aus Köln schicken sich an, dies in Zukunft grundlegend zu ändern.

Es verwundert daher nicht, dass TonyRella und Leo Christmann ihr Projekt auf den Namen „Freiboitar“ getauft haben und nun ihren Raubzug aus der Domstadt durch ganz Deutschland und vielleicht sogar darüber hinaus antreten. Schon ihre ersten Veröffentlichungen ließen aufhorchen. Etwa das bärenstarke „Floetenflirt“, das mit seinen vier Grundtönen schon eine ganz spezielle Atmosphäre schafft. Dann noch diese verwirrt keuchende, schreiende Stimme dazu und heraus kommt ein Track, der selbst Käpt’n Blaubarts Holzprothese ordentlich zum Grooven bringen würde. Kein Wunder also, dass sich René Bourgeois dieses Tracks angenommen und einen nicht minder monströsen Remix beigesteuert hat. Auch das zweite, auf Pimprinella erschienene Stück „Gitarrromanze“ (wie viele Wörter mit drei „R“ hintereinander gibt es eigentlich im Deutschen?) ist eine äußerst anhörbare Nummer geworden, etwas sanfter im Geschmack, aber dafür nicht weniger drückend im Abgang. „Love Me“ kommt dagegen etwas deeper daher, aber die stöhnenden Vocals von Jan Schürheck verleihen auch diesem Track eine äußerst verstörende Komponente. Man stelle sich am besten einen Piraten vor, dem von den Schergen der königlichen Flotte die Zunge herausgeschnitten wurde, der aber dennoch sein Lied singt, immer und immer wieder. Verstörend eben. Dass die Freiboitar durchaus Ahnung von Soundproduktion haben, ist zuletzt scheinbar auch Stereo Express aufgefallen und daher hat der belgische Meister der süßen Träume es sich nicht nehmen lassen, die beiden für ihre EP „Imagination“ auf sein kürzlich an den Start gegangenes Label Love Matters zu holen. Der titelgebende Song dieser am 12. Juni erscheinenden EP hört sich schon mal sehr vielversprechend an, auch aufgrund der Stimme von Shari Callista. Hinzu kommt ein ebenfalls starker Remix von Stereo Express selbst, also alles in allem eine Veröffentlichung, die der geneigte Elektropirat einmal genauer unter die Lupe nehmen sollte.

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Wie ist der Sound der Freiboitar demnach einzuordnen? Vielleicht lassen wir sie hier einmal selbst zu Wort kommen: „Bei den Freiboitar geht es musikalisch wild her und gerne werden Grenzen überschritten! Die Haupteinflüsse liegen zum einen im melodischen DeepHouse, da die Liebe zu jedem einzelnen Klang (Klaviermelodien, tiefe Gitarrenbässe, Cowbell Sounds, …) bei beiden sehr präsent ist. Zum anderen rütteln die beiden gerne kräftig am Putz und schlagen mit ihren treibenden TechHouse Beats große Wellen!“ erzählen sie auf ihrer Facebook-Seite. Das beschreibt diese schatzinselartige Geschichte ziemlich gut und wer sich hierfür noch einen tieferen Einblick verschaffen möchte, sollte sich auch einmal mit den Remixen der beiden beschäftigen. Ihre vielleicht beste Nummer in diesem Segment ist dabei ihr Edit von Sud Bencers „Hey Hey My My“. An sich ist das Original schon ein verdammt starker Track, die freigebeutete Version ist aber sogar noch eine Stufe besser. Auch ihre Edits von Florence & The Machines „You Got The Love“ und James Yuills „Rusty“, beide mit Matthias Kick produziert, sorgen für eine angenehme Welle der Entspannung, die man durchaus mal über sich ergehen lassen kann, wenn das Leben mal wieder verstärkten Seegang für einen bereithält. Ganz wie es sich für richtige Piraten gehört, wildern sie bei ihrer Edit-Auswahl furchtlos bei den Ikonen der Musikindustrie, wie sie zum Beispiel mit ihrem Edit des Beatles-Klassikers „Glass Onion“ beweisen. Zwar ist noch kein offizielles Statement von Paul McCartney oder Ringo Starr zu diesem Track bekannt, aber wahrscheinlich würden sie den elektronischen Schwung in ihrem 1968er-Song sogar mögen. Und falls nicht, deklariert man dies einfach im Seeräuber-Style als „Feindliche Übernahme“.

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Mittlerweile ist es so, dass die beiden Beatpiraten nicht nur auf hoher See mit ihrem Karachokutter eine gute Figur abgeben, sondern dass sie auch an den Decks (welch‘ treffende Doppeldeutigkeit) einiges zu bieten haben. Das beweist ihre mehr als ordentliche Anzahl an Bookings in der letzten Zeit, aber auch die durchaus beachtliche Qualität ihrer Sets auf Soundcloud.

Es wird spannend zu sehen sein, wo die wilde Fahrt der beiden Freiboitar in Zukunft noch hingehen wird, ob sie sich Reichtum und Ru(h)m erbeuten oder als abschreckende Beispiele an der Hafenmauer enden. Aber wenn ihr Sound so stark und facettenreich bleibt, muss man sich über letzteres wohl keine Sorgen machen. Also dann: Den Bass in die Segel gesetzt, die Beats volle Kraft voraus und mit naheliegenden Wortspielen klar zum Entern!