Dass aus der Provinz nicht nur frische Feldfrüchte und der dazugehörige Naturdünger kommen, beweist eine Person überdeutlich: Rich Vom Dorf gehört soundtechnisch wahrscheinlich zum Feinsten, was der deutsche Elektro-Wochenmarkt derzeit zu bieten hat. Nicht nur seine eigenen Tracks, sondern auch seine Remixe sind „State Of The Art“. Daher sollte man Rich Vom Dorf hören. Ganz oder gar nicht. Oder?
Von Sebastian Binder
Ich kenne das, Rich, wirklich, denn ich bin auch auf dem Dorf aufgewachsen. Ich kenne das Geräusch, wenn sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen und ich kenne den Geruch, der an gefühlten 300 Tagen im Jahr von den Feldern in die Nasenflügel zieht. Ich weiß nicht, wie es Dir geht, aber mich hat diese Jeder-kennt-jeden-hast-du-schon-gehört-was-XY-gemacht-hat-Atmosphäre ab einem gewissen Alter ziemlich genervt. Und so bin auch ich irgendwann in die große Stadt gezogen, obwohl meine Stadt gerne als „Das größte Dorf Deutschlands“ bezeichnet wird. Du siehst, wir beide haben durchaus etwas gemeinsam. Ich gebe allerdings zu, dass ich nur die Produktion von halbwegs lesbaren Texten einigermaßen drauf habe. Die Musikproduktion überlasse ich hingegen mit Freuden Dir. Denn meiner Meinung nach gibt es in Deutschland nicht allzu viele Leute, die Dir in dieser Hinsicht momentan das Wasser reichen können, darum will ich es gar nicht erst versuchen.
Und damit hinein in den elektronischen Kosmos, den Rich Vom Dorf in den letzten Jahren erschaffen hat und den man, wenn man erst einmal eingetaucht ist, so schnell nicht mehr verlassen möchte. Eigentlich weiß man gar nicht so recht, wo man anfangen soll, so viele gute Tracks hat Rich Vom Dorf trotz (oder gerade wegen?) seiner ländlichen Herkunft schon produziert. Beginnen wir also einfach mal mit dem „Wadenschwinger“, der schon nach wenigen Sekunden derart übel anzieht, dass die Waden unwillkürlich zu zucken anfangen und man eigentlich nicht mehr stillsitzen kann. Nicht anders sieht es mit „El Chicacabra“ oder „Mucho Muchacho“ aus. Eine besonders starke Nummer ist ihm dabei mit dem „Gänsetanz“ gelungen. Dieses Klatschen, das irgendwie was von Flamenco hat, animiert einen auf der Tanzfläche richtig dazu, die Arme in die Luft zu reißen und mitzuklappern, selbst wenn man dabei wie der letzte Vollidiot aussieht und die meisten Frauen wahrscheinlich denken: „Na, den ganz bestimmt nicht.“ Egal, solange man sich mit der „Senorita Rita“ vergnügen darf, ist die Welt absolut in Ordnung. Was Rich Vom Dorf auszeichnet, ist seine fast genial zu nennende Verknüpfung von ultra-pumpenden Beats mit komplexen Melodiearrangements, die man in der hiesigen Elektrolandschaft nicht allzu oft findet. Und daher sind auch seine neueren Sachen wie „Everything Is Much Nicer At The Weekend“ oder „You Make Me“ einfach nur gut. Das klingt vielleicht im ersten Moment banal, doch manchmal ist es schlicht und ergreifend das einzig Richtige, das Kind beim Namen zu nennen.
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Als Remixer ist der Rich dabei ebenfalls alles andere als provinziell, sondern vielmehr groß wie die Stadt. Glaubt ihr nicht? Na gut, nur ein paar Beispiele: Checkt seine Edits von KlangKuenstlers „Zirkusente“, Compact Greys „Bane“, Arts und Lenis „Tony And The Little Violine“ oder von Nico Puschs „Strandwetter“. Wer nun immer noch behauptet, dass das kein guter Sound ist, der sollte sich vielleicht lieber irgendwelche Castingshows ansehen und zu dieser „Musik“ feiern. Wie gesagt, auch bei den Remixen ist dieses typische Rich-Vom-Dorf-Element, diese Mischung aus einerseits krachendem Partyambiente und andererseits musikalischer Substanz herauszuhören. Keine Ahnung, wie der Junge das hinbekommt. Einen kleinen Hinweis darauf gibt er gegenüber den Kollegen von supportyourlocaldjs.de: „Über die Jahre hat sich meine Arbeitsweise verändert, aus den Midigeräten wurde der Computer, aus dem Geschraube in Ableton wurden Fahrten mit dem Traktor. Dann kam ich nach Hamburg und hier entwickelte sich alles besser. Ich knüpfte neue Kontakte, lernte viele tolle Menschen kennen und die gesamten Möglichkeiten veränderten sich.“
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Mittlerweile ist Rich Vom Dorf eine feste Größe in der Hamburger Elektrolandschaft und würde er auf dieser relativ bekannten Bahn dort arbeiten, dann würden ihn die Leute wohl ehrfürchtig als „Don Rico“ bezeichnen. Zum Glück für die Elektrofans beschäftigt er sich doch lieber mit Soundproduktion und -vermittlung. Seine Partyreihe „Gans oder Kranich“ (schönes Wortspiel, ehrlich) ist mittlerweile ebenso berühmt und berüchtigt wie der „Schöne Mischa“ oder „Lamborghini Klaus“ auf St. Pauli. Denn auch als DJ hat Rich Vom Dorf eine ganze Menge zu bieten, wie er beispielsweise mit seinem Set „Who The Fuck Is Weltuntergang“ zeigt. Eine absolut berechtigte Frage, allerdings kann ich Dir da auch nicht weiterhelfen, Rich, denn die Maya haben mich am 21.12.2012 genauso verarscht wie Dich.
Zum Schluss bleibt nur noch zu sagen, Rich, dass ich wirklich hoffe, dass Dein Sound so stark bleibt, wie er momentan ist. Ich bin vielleicht auch nur ein Provinzler und so mancher Berliner würde sich bei mir womöglich denken: „Von welchem Scheunenfest kommt die Knalltüte denn gerade?“ Aber hey, solange ich meinen Dorfkumpel Rich auf dem Ohr habe, brauche ich keinen stickigen, schweißtriefenden Keller. Da reicht mir eine Weide, ein frisch gezapfter Gerstensaft und eine Kuh und ein Hausschwein, die ordentlich mit mir bouncen. Hm, vielleicht war das Leben damals doch nicht so schlecht. Damals Vom Dorf. Ich mein‘, auf dem Dorf…