Melokind: Der Sonne entgegen

Es gibt in diesem schönen Land wahrscheinlich nicht wenige Leute, die seinen Winter gehörig satt haben. Doch solange er noch keine Anstalten  macht zu verschwinden, kann man ihn zumindest akustisch vertreiben. Mit kaum einem Track gelingt das besser als mit Melokinds „Immer Richtung Sonne“. Doch dieses melancholische Kind hat noch jede Menge andere starke Tracks im Repertoire. Das Verblüffende daran: Sie sind fast alle kostenlos.

Von Sebastian Binder  

Sonne. Kann sich nach diesem deutschen Winter noch irgendjemand an diesen komisch leuchtenden gelben Kreis erinnern, der vor einer gefühlten Ewigkeit ab und an am Himmel zu sehen war und der so manchem Menschen gute Laune verschafft hat? Dieses wärmende Ding, das uns hin und wieder daran erinnerte, dass man seine muffige Wohnung auch mal verlassen, im Park liegen, in einem See umherspringen könnte? Kann sich noch irgendjemand wirklich daran erinnern? Wahrscheinlich nicht.

Doch wenn man die Sonne an derartigen Tagen schon nicht visualisieren kann, dann sollte man sie sich zumindest durch die Macht des Akustischen in seinen Gedanken vorstellen, um nicht völlig in der Winterdepressivität zu versinken. Es gibt wohl kaum einen Track in der elektronischen Musikwelt, mit dem das besser gelingt, als mit Melokinds „Immer Richtung Sonne“. Dieses Lied ist pures Licht, getragen von einem energetisch-positivem Vibe und wenn man es hört, dann kann man tatsächlich daran glauben, dass diese Welt nicht immer so erfroren-trist, so unfreundlich-grau war, sondern dass es früher auch mal andere Tage gab, Tage, an denen sich das Leben draußen abspielte und man nicht vor genau diesem Leben in die Einöde des Drinnens fliehen musste. Und vor allem vermittelt dieser Track Hoffnung, Hoffnung, dass diese Tage irgendwann auch wieder zurück kommen werden.

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Melokind ist mit „Immer Richtung Sonne“ ein großer Wurf gelungen, der aus der oftmals tumben und langweiligen Einheitsbreimasse des Elektrokosmos erfreulich heraussticht. Und daher wird dieser Kracher demnächst auch bei WePlay Music veröffentlicht. Völlig zurecht, werden nun alle sagen, denn für gute Musik kann man auch mal einen Euro hinlegen. Aber bei Melokind ist das keine zwingende Voraussetzung. Sieht man sich seinen Soundcloud-Account genauer an, dann stellt man fest, dass 90 Prozent der Tracks zum kostenlosen Download bereitgestellt werden. Hört man sich diese Lieder einmal an, dann wird sich so mancher verwundert fragen, warum das eigentlich so ist. Sind die A&Rs der Plattenlabels taub oder einfach nur begriffsstutzig? Denn wir haben es hier mit wunderbarer Musik zu tun, bei der sich wohl die wenigsten Leute darüber beschweren würden, wenn man ein paar Cent dafür abdrücken müsste. Am besten startet man somit einfach mal mit „Emotions“, geht dann zu „Goodbye“ über, verharrt ein bisschen bei „Sunlight“ und wechselt dann zur Antithese „Graue Tage“. Um schließlich das Ganze noch mit Melokinds bestem, für die Fans produzierten kostenlosen Download abzurunden: „Danke“. Nein, nein, Melokind, nichts zu danken, vielmehr müssen wir uns für diesen Track bei Dir bedanken. Bereits bei diesen fünf Tracks fällt einem auf, was Melokind auszeichnet: Ein extremer Nuancenreichtum im Sound. Mal entspannent, mal anschiebend, mal euphorisch, mal, ganz dem Namen entsprechend, melancholisch.

Laut den Eigenangaben auf seiner Facebook-Seite wurde Denny Marx, so Melokinds richtiger Name, durch den Elektropop-Sound der 1990er musikalisch sozialisiert. Nun kann man zu Ace of Base, Erasure und Co. stehen, wie man will, Denny scheint dieser Einfluss nicht geschadet zu haben. Im Gegenteil: „Es dauerte nicht lange und er startete seine ersten Gehversuche im Bereich Musikproduktion. Mit Programmen wie „Music 2000“ für die Playstation oder dem „Magix Musicmaker“ stieß er aber schnell an seine künstlerisch und kreativen Grenzen“, heißt es dort weiter, was man sich durchaus vorstellen kann. „Durch seine kontinuierliche Arbeit an den Plattentellern konnte er sich jedoch fernab aller Software-Einschränkungen ein unglaubliches Gespür für Melodien und die damit verbundenen Gefühle aneignen. 2009 wagte er dann den Schritt zu der Producersoftware „Ableton Live“ und somit auch den Schritt hin zur Produktion eigener Stücke.“ Wie gesagt, was dabei herausgekommen, kann sich jeder Freund der elektronischen Tanzmusik auf der Melokind-Soundcloudseite anhören.

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Zudem scheint dieses melancholisch angehauchte Kind auch ein großer Filmfan zu sein. Darauf lassen zumindest sein sehr feines Edit des Blockbuster-Titels „Gandalf Falls“ aus „Der Herr der Ringe“ schließen oder seine ebenfalls gelungene Neuinterpretation des Inception-Themas aus dem gleichnamigen Kultfilm von Christopher Nolan. Hinzu kommen einige interessante Bootlegs wie zum Beispiel von Cary Brothers „Ride“ oder von Wir sind Heldens „Kreise“. Und selbst wenn man mit diesen Bands möglicherweise nicht viel anfangen kann, diese Melokind-Versionen sind durchaus mal ein genaueres Anhören wert. Mittlerweile ist der in Köln lebende Künstler auch ein gefragter DJ und wer sich seine Sets wie etwa „Die fabelhafte Welt des Melokind“ oder „Der kunterbunte Februar“ anhört, der weiß auch, warum das so ist.

Allen Freunden der gepflegten elektronischen Unterhaltung sei zum Schluss daher noch ein Rat gegeben: Man sollte sich so schnell wie möglich alle kostenlosen Tracks von Melokind herunterladen, solange diese eben noch kostenlos sind. Denn je weiter wir Richtung Sonne voranschreiten, desto wahrscheinlicher ist es, dass doch noch ein intelligenter Plattenboss auf die Idee kommt, diese Tracks über sein Label zu vertreiben. Na obwohl, eigentlich wäre das nur fair. Okay, Kommando zurück. Wir warten solange, bis wir endlich für diese Tracks bezahlen dürfen und solange hören wir sie ausschließlich im Netz, damit ihre Klickzahlen immer höher steigen. So hoch, wie früher vielleicht einmal diese sagenumwobene Sonne gestiegen ist. Wenn sich noch irgendjemand an sie erinnert…