Des Klassikers neue Elektrokleider

Wenn man Klassiker der Musikgeschichte elektronisch verpacken will, dann sollte vor allem ein Grundsatz gelten: Respekt vor dem Original. Denn nicht selten sind derartige Versuche missglückt. Doch erfreulicherweise gibt es auch Beispiele, bei denen man die Neuinterpretation als durchaus gelungen bezeichnen kann. Niconé, René Bourgeois und Robosonic haben es bewiesen. Sie sind nicht die Einzigen.

Von Sebastian Binder  

Es ist immer so eine Sache mit dem Editieren von Klassikern der Musikgeschichte. Zunächst einmal stellt sich die moralische Frage: Darf man diese großen Tracks, die über die Jahre und Jahrzehnte nicht selten einen ikonenhaften Status erlangt haben, überhaupt anfassen? Darf man sie auf 125 Beats pro Minute pitchen und sie mit seltsamen Geräuschen unterlegen? Darf man an diesen Denkmälern kratzen oder macht man sich selbst lächerlich, wenn man versucht, einem Klassiker ein elektronisches Korsett überzuziehen? Es gibt genügend Beispiele in der Musikgeschichte, in denen dieser Versuch kläglich gescheitert ist. Man denke an den grusligen Funkstar Deluxe Remix von Bob Marleys „Sun is shining“ oder an Missing Hearts nicht weniger missglücktes „Moonlight Shadow“. Besonders grausam wird es allerdings, wenn sich irgendwelche Amateure mit einer 50-Euro-Software eines Klassikers annehmen. Heraus kommen trommelfellzerreißende Dubstep-Versionen von „Stairway to Heaven“ oder Brechreiz-auslösende Housevarianten von „Smoke on the Water“, die einem auf YouTube das Fürchten lehren. Aus dieser Perspektive betrachtet ist es also ein absolutes No-Go, dass sich Elektroproduzenten an der Musikgeschichte vergreifen.

Es sei denn, sie beherrschen die Klangproduktion. In den letzten Jahren hat es in der Minimal- und Techno-Szene immer wieder Versuche gegeben, angestaubten Klassikern neues Leben einzuhauchen. Und siehe da: Nicht wenige dieser Versuche sind geglückt, bezeichnenderweise von Leuten, die auch sonst ihr Handwerk verstehen. Einer der schwierigsten Aufgaben hat sich dabei Niconé angenommen. Er hat sich den „Alabama Song“ von The Doors vorgeknöpft und seine minimalistisch-anschiebende Nummer, die daraus geworden ist, kann auch heute noch problemlos in jedem Club gespielt werden. Natürlich ist es schwer zu sagen, ob Jim Morrison mit diesem Track zufrieden wäre und eingefleischte Doors-Fans würden diese Frage sowieso aufs Heftigste verneinen. Doch Tatsache ist, dass Niconés Neuinterpretation dieses Klassikers auf jeden Fall das Hinhören lohnt und nicht wenige Elektrofans werden dadurch möglicherweise ein ganz neues Verhältnis zu den Kultrockern von The Doors bekommen.

Auch Nico Pusch hat sich einer Ikone der Musikgeschichte angenähert: Johnny Cash. Seine Idee war, die letzte Single der Country-Legende, „Hurt“, die noch zu Cashs Lebzeiten veröffentlicht wurde, neu zu editieren. Natürlich ist dieser Track nicht ganz so gebrochen-melancholisch wie das Original geworden, was ohnehin unmöglich ist. Aber Pusch missbraucht den Klassiker auch nicht, sondern interpretiert ihn auf seine Weise neu, was durchaus einen gewissen Charme hat. René Bourgeois hat sich dagegen eine andere Institution der Musikhistorie ausgesucht: Depeche Mode. Selbst bekennender Fan der Synthiebastler hat er deren „Personal Jesus“ in seinen Computer geladen und daraus einen sehr feinen Remix gezaubert, der immer noch nach Depeche Mode klingt, ohne dabei den typischen René-Bourgeois-Style vermissen zu lassen. Es wäre interessant zu wissen, was Dave Gahan, Martin Gore und Andrew Fletcher von dieser Version halten. Es ist nicht auszuschließen, dass sie damit nicht unzufrieden wären.

Klassiker in Elektrokleidern zum Nachhören

httpv://www.youtube.com/playlist?list=PL4rTaAOKLemAvIS_-OLrg5W0J8OYwccBM

Thomas Lizzara hingegen scheint eher der Vampir-Fan zu sein, denn er hat eine lizzareske Neuversion von Tito & Tarantulas „After Dark“ geschaffen. Wenn man sich die nicht wenig aufreizenden Bewegungen von Selma Hayek in „From Dusk till Dawn“ zu diesem Sound dazudenkt, dann kommt man sicherlich zu dem Schluss: Ja, Lizzaras Version funktioniert und wer weiß, vielleicht ruft demnächst sogar Robert Rodriguez an, damit Thomas Lizzara einen Track zu seinem neuen Film beisteuert. Umami haben sich dagegen wohl des öfteren „Fear and Loathing in Las Vegas“ angesehen (gut, wer nicht?). Ihre Version der Hippie-Hymne „White Rabbit“ von Jefferson Airplane ist jedenfalls das Reinhören wert und die folgende These ist nicht dem Konsum irgendwelcher chemischer Substanzen geschuldet: Vielleicht hätte Raul Duke das Radio bei dieser Version erst recht nicht in die Badewanne geworfen. Nicht, weil er seinen Anwaltskumpel so gerne mag, sondern weil er einfach diesen Track fertig hören wollte.

In jüngster Vergangenheit ist zudem noch ein neuer Trend der Klassiker-Auffrischung zu beobachten: Man nehme unsterbliche HipHop-Tracks und verleihe ihnen einen minimalistisch-technoiden Beigeschmack. Man kann nun natürlich darüber diskutieren, ob die HipHop-Tracks tatsächlich „Original“ sind, denn deren Produzenten bedienen sich selbst nicht selten bei alten Soul-Hits oder ähnlichem. Aber wenn man die Elektrovarianten dieser Lieder hört, so kann man durchaus feststellen, dass es sich hierbei durchaus eher um das HipHop-Original, denn um das Original-Original handelt. Einen besonders starken Track haben hierbei Robosonic abgeliefert. Für ihren Kracher „The Edge“ haben sie „The Next Episode“ von Dr. Dre, Snoop Doog und Nate Dogg gesampelt und heraus kam eine Nummer, die mit Sicherheit den ein oder anderen deutschen Tanzflur zum Kochen gebracht hat. Auch die Filtertypen haben mit „After Laughter“, basierend auf dem gleichnamigen Wu-Tang-Titel, eine äußerst anhörbare Neuversion eines unsterblichen HipHop-Klassikers geschaffen. Eines der aktuellsten Beispiele für diese Sparte ist Claptone, der mit „Shook“ eine sehr feine Variante von Mobb Deeps Frühhit „Shook Ones Part Two“ produziert hat.

Man sieht also, es muss nicht immer gleich ein Verbrechen gegen den guten Musikgeschmack oder eine Denkmalsbeschädigung sein, wenn Klassikern der Musikhistorie ein elektronisches Gewand verpasst wird. Wenn fähige Leute sich eines derartigen Projekts annehmen, dann können durchaus anhörbare Neuinterpretationen dabei herauskommen. Es zeigt sich allerdings auch, dass hier durchaus Vorsicht und vor allem eine gehörige Portion Respekt vor dem Original angebracht ist. Denn bevor man eine halbgare Version einer Kultnummer ausspuckt, nur weil man denkt, dass man dadurch die Aufmerksamkeit irgendwelcher Leute auf sich lenken kann, sollte man es lieber ganz bleiben lassen.

Foto: The-Doors-Frontmann Jim Morrison, elektronisch angehaucht