René Bourgeois: Der Umtriebige

Kaum ein Künstler der deutschen Elektro-Szene hat momentan einen derart hohen Output wie René Bourgeois. Eigene Produktionen, Remixe, jede Menge Live-Auftritte. Das Wort „omnipräsent“ trifft derzeit auf den gebürtigen Dresdner auf jeden Fall zu. Was nicht schlecht ist, denn Bourgeois liefert seit längerem Elektro-Sound vom Allerfeinsten. Es gibt nur eine Sache, an die er sich bislang nicht herangetraut hat. Was würde wohl Mark Twain dazu sagen?

Von Sebastian Binder  

René Bourgeois ist ein Phänomen. DJ, Produzent, Videoproduzent, Kameramann sind seine offiziellen Berufsbezeichnungen und allein diese Aufzählung zeigt, dass das Wort „umtriebig“ für René Bourgeois eine Untertreibung wäre. Seit über 20 Jahren macht er nun die deutsche Elektro-Landschaft unsicher und hat sich mittlerweile auch ein internationales Ansehen erarbeitet. Verwunderlich ist das nicht, denn Bourgeois liefert seit Jahr und Tag feinsten elektronischen Sound, der sich an keinem Ort der Welt verstecken muss, im Gegenteil, wenn diese Welt etwas „bourgeoiser“ wäre, vielleicht gäbe es dann mehr Spaß und Tanzen als Depressionen und Langeweile. Übertrieben? Naja, vielleicht ein wenig.

„Wer am Ziel seiner Träume ist, hört auf zu leben. So oder so ähnlich schilderte es mal Mark Twain“, sagte er gegenüber den Kollegen von Partysan. Es ehrt Bourgeois, dass er dieses Zitat Mark Twain zuschreibt, dessen Ausspruch allerdings so lautet: „Trenne dich nie von deinen Illusionen und Träumen. Wenn sie verschwunden sind, wirst du weiter existieren, aber aufgehört haben, zu leben.“ Von daher ist es nur fair, dass ersterer Satz als ein Original-Bourgeois in das Zitate-Lexikon aufgenommen wird. Man tritt Bourgeois wohl nicht zu nahe, wenn man Mark Twain als den besseren Schriftsteller bezeichnet. Andererseits tritt man auch Mark Twain nicht zu nahe, wenn man René Bourgeois als den besseren Elektro-Produzenten bezeichnet.

Geboren in Dresden und aufgewachsen im „real existierenden Sozialismus“ zog es Bourgeois sehr bald in Deutschlands Psycho-Stadt Nummer eins: Berlin. Als es sich endlich ausgehoneckert hatte, war Bourgeois mittendrin in der zu Beginn der 1990er Jahre prosperierenden Illegal-Untergrund-Clubkultur und geprägt von diesem Umfeld begann auch sein musikalisches Schaffen zu reifen und eine Richtung zu bekommen, die natürlich nur elektronisch-hämmernd-anschiebend sein konnte. Zusammen mit befreundeten DJ-Kollegen wie Daniel Steinberg oder Sascha Braemer wurden erste Projekte aus dem Boden gestampft, aber einem größeren Publikum wurde der Name René Bourgeois wohl erstmals 2008 ein Begriff, als seine enorm anschiebende Nummer „4myrecordz“ veröffentlicht wurde. Es folgten weitere starke Tracks wie „Nachtmahr“, „Heimlichkeit“ für Weihnachtsfreunde oder das äußerst irritierende „Mama San“, dessen erster Break auch heute noch Freunden der minimalistischen Klänge eine Gänsehaut den Rücken runterzittern lässt. „Ich verbringe schon sehr viel Zeit mit meiner Musik und im Studio. Außerdem versuche ich auch immer so zu planen, das jeden Monat etwas von mir erscheint, sei es ein Remix oder eigene Produktionen“, so Bourgeois. Umtriebig, genau. Auch seine neuen Sachen lohnen ein genaueres Hinhören. Erstmals klingen hier sogar politisch angehauchte Statements durch. Die Tracks „Clubs Never Closed“ und „Deep In The Underground“ will Bourgeois explizit als Statement zum momentan grassierenden Wahnsinn der GEMA-Reform verstanden wissen: „Auch wir DJs sind von der GEMA-Reform betroffen und da hört der Spaß bei mir auf. Allerdings war es schon immer so, dass, wenn der Kommerz siegt, sich der Underground neu formiert und deswegen die treffenden Titel „ Clubs never closed“ und „ Deep in the Underground“.“ Derzeit veröffentlicht Bourgeois seine Tracks über die Labels Supdup, Shaker Plates und für eine Steigerung der internationalen Reichweite über Atmosphere Records.

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So stark die Eigenproduktionen von René Bourgeois sind, vielleicht ist er als Remixer sogar noch ein Stück besser. Das soll dabei keineswegs abwertend klingen, sondern als Kompliment gemeint sein. Denn es gibt wahrscheinlich nicht wenige Leute, die sich beim Suchen nach elektronischer Musik auf YouTube zuerst den René-Bourgeois-Remix eines Liedes anhören und in den allerwenigsten Fällen hat man mit dieser Entscheidung etwas falsch gemacht. Man könnte nun zahlreiche Beispiele für „gut-bürgerliche“ Remixe nennen, aber vielleicht sollte man mit einem der herausstechendsten beginnen: Orlando und Stereo Express‘ „La vie en rose“. Bourgeois‘ Remix mit dem ebenso einfachen wie einprägsamen Titel „More Rum For The Ska Pirates“ lässt wohl kein Tanzbein unberührt und spätestens nach drei Minuten ist man fast gezwungen, mitzustampfen. Selbiges gilt für seine Neumischung von Max Dukes „No Good“ oder Oliver Tons „The Whupp“. Doch auch seine neueren Arbeiten lassen sich hören, allen voran sein Remix von Monkey Safaris „Lenis Gugu“. Die Neuinterpretationen von Freiboitars „Flötenflirt“, die von Bourgeois mit dem schönen Zusatz „With A Harmonica“ versehen wurde, oder von Krumm & Schiefs „Happy“ sollten ebenfalls an keinem Gehörgang, der elektronische Klangkunst zu schätzen weiß, vorbeigehen. Diese Liste ließe sich noch ewig fortsetzen, denn wie Bourgeois selbst zugibt: „Im Jahr 2012 kam es zu einer wahren Remixflut.“ Macht nichts, denn solange sie alle so gut sind, kann man als Elektro-Fan durchaus damit leben.

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Bourgeois ist dabei nicht nur als Produzent aktiv, sondern auch seine Sets genießen mittlerweile europaweit einen hohen Stellenwert. Von Berlin aus zieht er seine Kreise über die Clubs und Festivals des ganzen Landes beziehungsweise des ganzen Kontinents. Vor allem die Fusion scheint ihm im Jahr 2012 in besonderer Erinnerung geblieben zu sein: „Ich dachte, dass man mein Fusiondebut 2011 auf der Tanzwiese kaum toppen könne, aber die Leute, ein warmer Sommersonntag und das besondere Ambiente der Seebühne haben mich 2012 eines besseren belehrt.“ Und allen, die noch nie in den Genuss eines Bourgeois-Sets gekommen sind, sei gesagt, dass man als Elektro-Fan diese Sache einmal erlebt haben muss, sei es nun in einem verrauchten Berliner Keller oder auf einer weitläufigen Wiese in Lärz.

Es lohnt sich also, sich einmal eingehender mit René Bourgeois zu beschäftigen, nicht nur mit seinem vergangenen Schaffen, denn in Zukunft wird er sicherlich ebenfalls einiges von sich hören lassen. Vielleicht sogar endlich einmal ein komplettes Album? Hier ist sich der Elektro-Bastler offensichtlich noch etwas unsicher: „Über ein Album habe ich bereits dieses Jahr nachgedacht, nachdem Kollegen wie Monkey Safari, Beatamines oder Oliver Schories wirklich gute Alben produziert haben, andererseits sind andere großartige Künstler mit ihren Alben baden gegangen und das hat mich wiederum abgeschreckt.“ Dem ist hinzuzufügen: Keine Angst, René, wenn Dein Album nur halbwegs das Niveau früherer Produktionen erreicht, dann werden sich eine Reihe Käufer finden, und falls doch nicht, dann halte es einfach mit Dendemann: „Auch mal auf die Fresse fallen ist derbe geil!“ Oder um es mit Mark Twain zu sagen: „Menschen mit einer neuen Idee gelten so lange als Spinner, bis sich die Sache durchgesetzt hat.“