Wenn man wissen will, warum elektronische Musik aus Deutschland derzeit so erfolgreich ist, dann sollte man sich Alle Farben anhören. Im Interview mit elektro-chronisten.de spricht er über sein Verständnis von Sound, wie er im Studio arbeitet und wie es mit einem Album von ihm aussieht. Doch er legt auch seine Sichtweise auf die generelle Entwicklung des deutschen Elektro und die damit verbundene, zunehmende Kommerzialisierung dar.
Von Sebastian Binder
Zugegeben, ich war gespannt. Ich bin ein großer Fan von Alle Farben und daher war ich sehr erfreut, als mir die Kallias-Crew das „Okay“ für ein Interview mit Frans gab. Ich bereite solche Sachen eigentlich nicht großartig vor, denn die Erfahrung hat mir gezeigt, dass es sehr viel interessanter wird, wenn man das Gespräch einfach fließen lässt und abwartet, was passiert. Das kann unter Umständen nach hinten losgehen, aber Alle Farben enttäuschte mich nicht. Es entspann sich ein langes und unterhaltsames Gespräch zwischen uns beiden und Frans vermittelte mir einige tiefe Einblicke in die elektronische Lebenswelt. Nicht nur in die aller Farben, sondern auch weit darüber hinaus.
Gibst Du eigentlich gerne Interviews?
Alle Farben: Mittlerweile schon. Früher war es für mich ungewohnt, um nicht zu sagen: unvorstellbar, Interviews zu geben. Heute macht mir das Spaß, weil ich ein paar Sachen über meinen Sound und mich zu erzählen habe.
Schön zu hören. Du bist in Berlin geboren und aufgewachsen. Wie hat Dich diese Stadt geprägt, vor allem in musikalischer Hinsicht?
Alle Farben: Sie hat mich sehr stark geprägt. Ich bin bereits als No-Name mit vielen bekannten Künstlern und Local Heroes in Berührung gekommen und das hat mit Sicherheit auch meinen Sound beeinflusst. Hinzu kommt, dass ich in Berlin immer spielen konnte, ich also die Möglichkeit hatte, meine Vorstellung von elektronischer Musik an das Publikum weitergeben zu können, so dass es sich selbst eine Meinung bilden konnte. Das hat mir natürlich sehr geholfen. Dennoch war es mir ab einem gewissen Zeitpunkt wichtig, meinen soundtechnischen Horizont über Berlin hinaus zu erweitern.
Womit wir beim Thema wären. Wie sieht es aus, wenn Alle Farben beginnt, im Studio zu arbeiten?
Alle Farben: Ich bin sehr durchdacht beim Produzieren. Ich gehe nicht ohne konkrete Idee ins Studio, denn ich habe festgestellt, dass ich mich nur selbst nerve, wenn ich nicht zu einem gewissen Punkt komme. Ich bin also nicht der klassische Frickler. Klar muss man vor allem bei Melodien aber auch mal rumprobieren, bis sie so sind, wie man sie sich vorstellt.
Und wie stellst Du Dir eine Melodie vor?
Alle Farben: Zum Hören sind komplexe Melodien, wie sie Beethoven, Mozart oder Tschaikowsky geschrieben haben, großartig. Wenn ich selbst produziere, bevorzuge ich dennoch eingängige Melodien, denn meine Tracks müssen in erster Linie clubtauglich sein. Hierfür sind einfachere Melodien sicherlich besser geeignet.
Weil komplexe Melodien im Club nicht funktionieren?
Alle Farben: Sie funktionieren schon, meiner Meinung nach allerdings weniger im Groove. Sie funktionieren im Break, aber wenn man nun einen kompletten clubtauglichen Song mit einer Melodie von Mozart bauen möchte, dann wird es sehr, sehr schwer.
Wie sieht es aus, wenn Du eine E.P. konzipierst? Beschreibe das mal ein wenig anhand Deiner Sailorman-Veröffentlichung.
Alle Farben: Das Thema habe ich gewählt, weil mein Vater früher selbst zur See gefahren ist. Zudem mag ich Hamburg sehr gerne und auch hier gibt es ja die Verbindung zum Seefahrertum. Das hört man wahrscheinlich am besten an meinem Song „Fischmarkt“. Musikalisch hat es aber interessanterweise mit dem Track „Rien“ angefangen, der am Schluss dann am wenigsten mit diesem Thema zu tun hatte (lacht).
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Du bist auch ein gefragter Remixer. Was musst Du in einem Lied erkennen, um Dir vorstellen zu können, es neu zu editieren?
Alle Farben: Zunächst ist es für mich wichtig, dass bei meinen Remixen immer noch ein Zusammenhang mit dem Original-Titel zu hören ist. Ein Beispiel: Ich habe einen Remix für Parov Stelar gemacht und hier entsprach das Original schon genau dem Sound, den ich mag. Ich musste also einen anderen Ansatz wählen. Ich habe mich entschieden, die Breaks progressiver zu gestalten, mehr Snare-Wirbel einzubauen, den Bass mehr heulen zu lassen. Das ist für mich das Spannende am Remixen: Dem Sound eine eigene Note zu geben, ohne das Original völlig zu zerstückeln.
Lehnst Du auch Remix-Anfragen ab?
Alle Farben: Klar, wenn du mir zum Beispiel einen beliebigen Minimal-Track vorlegst, dann werde ich die Remix-Anfrage mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit ablehnen. Ich brauche schon Elemente, mit denen ich spielen kann. Ich nehme dann lieber einen Indie-Rock-Track und mache daraus einen Remix. Das finde ich häufig spannender als irgendwelche Techno-Titel neu zu editieren.
Du hast mittlerweile einen breiten Fundus aus eigenen Tracks und Remixen produziert. Wie hat sich Dein Sound über die Jahre verändert?
Alle Farben: Ich würde behaupten, dass man beispielsweise meiner letzten Produktion anhört, dass ich hier eher in die härtere TechHouse-Richtung gegangen bin. Mein Sound hat sich mittlerweile geändert. Um meine Kompositionsfähigkeiten zu verbessern, fange ich jetzt zudem an, Klavierunterricht zu nehmen.
Wechseln wir mal von der Alle-Farben- in eine generelle Perspektive. Wie hat sich die elektronische Musik in Deutschland Deiner Ansicht nach in den letzten Jahren entwickelt?
Alle Farben: Ich selbst empfinde diese Entwicklung erst einmal als sehr positiv. Allerdings sehen das nicht alle Leute so. Viele Künstler und Fans, die schon lange dabei sind, fühlen sich bedroht in ihrem Territorium, wenn man so will. Denn klar ist: Egal, ob du heute in einem reinen Technoclub oder auf einer kommerzielleren Veranstaltung spielst, du legst dieselbe Musik auf. Und die Leute wollen diese Musik auch hören. Um es daher einmal krass auszudrücken: Techno ist salonfähig geworden.
Siehst Du durch diese Salonfähigkeit nicht die Gefahr, dass es irgendwann zu einer Über-Kommerzialisierung kommt und der Sound dadurch verwässert?
Alle Farben: Was heißt „irgendwann“? Diese Entwicklung ist längst eingetreten. Ohne konkrete Namen nennen zu wollen, aber man sieht den Trend, dass sich Major-Labels Künstler aus unserer Musikrichtung schnappen, mit ihnen Alben produzieren und das dann großflächig vermarkten. Das war vor nicht allzu langer Zeit kaum vorstellbar. Um das nicht falsch zu verstehen: Ich finde das momentan noch nicht bedenklich. Wenn das aber verstärkt passiert, der Sound immer mehr auf Massentauglichkeit getrimmt wird und dadurch letzten Endes verwässert, dann muss man diese Entwicklung natürlich in Frage stellen.
Kommen wir zurück zu Deiner eigenen Musik. Du hast für Deine letzte Sechs-Stunden-Session mit Live-Musikern zusammengearbeitet. Was ändert sich dadurch für Dich als DJ?
Alle Farben: Zunächst braucht man dafür einen viel stärker abgesteckten Rahmen. Ich muss mich vielmehr darauf konzentrieren, Timings einzuhalten, wenn ich mit Sängern, Schlagzeugern, Pianisten oder Gitarristen performe. Der positive Effekt ist, dass dadurch eine neue Energie auf der Bühne entsteht. Es entwickelt sich eine ganz andere Kommunikation zwischen Musikern und Publikum, der Fokus der Crowd richtet sich noch stärker auf die Bühne. Man kreiert dadurch diesen Konzertcharakter, was ich wahnsinnig spannend finde. Dieses Konzept werde ich auch in Zukunft weiter verfolgen, was aber nicht heißen soll, dass ich dem „normalen“ DJing nicht trotzdem treu bleibe.
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Welche Projekte verfolgst Du außerdem in nächster Zeit?
Alle Farben: Anfang Mai kommt eine neue E.P. von mir heraus, die mir sehr wichtig ist. Ich hatte letztes Jahr am 1. Mai einen Auftritt im Berliner Tempelhof, der mich wahnsinnig geflasht hat. Daraufhin bin ich ins Studio gegangen und habe einen Track mit dem gleichen Namen produziert, ihn aber dann erstmal liegen gelassen. Letztens habe ich ihn wieder aus der Schublade geholt und gedacht: Wow, eigentlich ist das richtig geil geworden. Also habe ich ihn noch einmal ein bisschen überarbeitet und Anfang Mai erscheint das Teil nun.
Wie sieht‘s denn mal mit einem kompletten Album aus? Einige Leute warten sicherlich schon sehnsüchtig darauf.
Alle Farben: Die Grundsteine dafür sind bereits gelegt. Aber ich brauche jetzt erst einmal eine ruhige Minute, um mir darüber klar zu werden, wie das genau aussehen soll. Es soll kein normales Clubalbum werden, sondern mir schwebt eher ein Konzeptalbum vor. Ich will auf jeden Fall, dass es etwas Persönliches wird, etwas, wo ich voll dahinter stehen kann. Daher wird es wohl noch ein wenig dauern.
Zum Schluss nochmal ein anderes Thema. Viele Nachwuchsproduzenten und -DJs stellen sich das Leben in der elektronischen Musikwelt als eine einzige große Party vor. Unter der Woche wird ein bisschen am Sound geschraubt und am Wochenende lässt man sich hinter den Turntables feiern. Ist das so?
Alle Farben: Ich will hier keine falschen Illusionen verbreiten: Dieses Leben ist ein Knochenjob. Von Montag bis Freitag habe ich eine „Bürowoche“, wenn man so will, und am Wochenende lege ich auf. Natürlich feiere ich auch gerne mal mit, aber wenn du am Wochenende drei- oder viermal auflegst, dann kannst du nicht jede Party mitnehmen. Diese Arbeit erfordert viel Disziplin, denn du kannst es dir eigentlich nicht leisten, dass du nach dem Wochenende erst einmal drei Tage am Stock gehst.
Würdest Du es den Leuten dennoch empfehlen, diesen Beruf zu ergreifen?
Alle Farben: Ich würde es niemandem empfehlen, den Fokus seiner beruflichen Zukunft darauf zu legen. Denn die Wahrheit ist, dass hier eine ganze Menge Glück im Spiel ist. Es gibt genügend starke Künstler, die sich ihr Geld als Bedienung in einer Bar verdienen müssen. Niemand sollte denken, dass man auf Anhieb der Headliner bei einem großen Festival wird. Aber um das nicht falsch zu verstehen: Wenn jemand Spaß daran hat, Musik zu produzieren, dann soll er es weiter machen, denn es ist ein tolles Hobby. Man darf sich nur nicht zu ernst nehmen und darüber den Spaß an der Sache verlieren. Genau so, als Hobby, das mir Spaß macht, hat es bei mir schließlich auch angefangen…
Fotos by Jens Junge / Kallias