André Spilker hat sich einem interessanten Projekt verschrieben. Er möchte eine Dokumentation über den Sommer in der deutschen Hauptstadt drehen, mit einem Fokus auf die elektronischen Musikszene. Im Interview mit elektro-chronisten.de spricht er über die Idee hinter dem Projekt, wie er es durch Crowdfunding finanziert bekommen möchte und was den Berliner Sommer überhaupt so speziell macht.
Von Sebastian Binder
Es gibt Projekte, die aus der Masse der elektronischen Musikwelt herausstechen, weil sie mal etwas anderes sind und allein deshalb schon wert, darüber zu berichten. André Spilker und seine Crew haben vor, eine Dokumentation über den Berliner Sommer in der Elektroszene der Hauptstadt zu drehen. Das Geld dafür wollen sie mittels Crowdfunding auf startnext.de auftreiben. Grund genug für elektro-chronisten.de, sich von André selbst mal dieses ambitionierte Projekt genauer erklären zu lassen.
Beschreib‘ doch mal für jemanden, der nicht in Berlin wohnt, wie man sich den Berliner Sommer vorstellen muss.
André Spilker: Wenn ich vom Sommer in Berlin spreche, dann meine ich erst einmal meinen Sommer in Berlin und der ist geprägt von Musik. Für mich bedeutet das, man verlässt morgens seine Wohnung, läuft durch die Stadt und überall nimmt man Musik wahr. Hinzu kommt die Berliner Freizügigkeit, diese gewisse Lockerheit der Menschen, die man so in Deutschland vielleicht gar nicht oder nur sehr selten findet. Und das zieht natürlich viele Leute an, die ebenfalls dieses hedonistische Denken haben, das man eben am ehesten in Berlin verwirklichen kann und das den Sommer hier ausmacht.
Trifft das auch auf Dich selbst zu?
André Spilker: Klar. Ich bin gebürtiger Rostocker, aber wie so viele aus meiner Stadt hat es mich auch irgendwann nach Berlin verschlagen. Ich habe diese Entscheidung nie bereut, denn selbst wenn ich gerne in anderen Städten wie Hamburg bin, bin ich letzten Endes immer froh, wenn ich zurück nach Berlin komme.
Du planst eine Dokumentation mit dem Titel „Berliner Sommer“, die den Sommer in der Hauptstadt verbunden mit elektronischer Musik einfangen soll. Wie bist Du darauf gekommen?
André Spilker: Ich habe schon lange mit Film zu tun, habe auch eine Ausbildung in diesem Bereich gemacht und mir via Learning-by-doing viel selbst beigebracht. Als ich nach Berlin kam, habe ich hier mit einem Kollegen die Firma Morphium Film gegründet. Ich habe dann das Projekt „Morphium Cuts“ gestartet, bei dem ich auf irgendwelche Dinge die Kamera draufgehalten habe. Meistens waren das Partys in der Berliner Elektroszene, die ich dann einfach zu kurzen Filmchen zusammen geschnitten habe. 2009 habe ich dann mit einer Kollegin die Web-Serie „Afterhours“ aus dem Boden gestampft, die ebenfalls in der Berliner Clubszene spielt und nebenbei noch Videos für Acts wie Mollono.Bass gedreht. Die logische Konsequenz aus diesen Erfahrungen war für mich, dass ich das jetzt in einem kompletten Film verarbeiten möchte.
Beschreib‘ mal ein bisschen die Idee beziehungsweise das Konzept, das hinter „Berliner Sommer“ steckt.
André Spilker: Grundsätzlich ist die Idee, dass wir einfach mit dem Berliner Sommer mitschwimmen wollen. Es wird sich sicherlich spontan vieles ergeben, von dem wir jetzt noch gar nichts wissen. Mir selbst schwebt als Konzept eine Art Netz vor aus DJs, Produzenten, Partyveranstaltern und natürlich Partygängern, die wir dann mit der Kamera begleiten. Ein Beispiel, wie das aussehen könnte: Wir begleiten eine Person, die tagsüber einen ganz normalen Bürojob macht, aber nachts dann auf Partys Leute anmalt und bis in die Morgenstunden durchfeiert. Mit dieser Person bleiben wir bis zum bitteren Ende auf der Party, treffen dann vielleicht noch den Act, der gerade aufgelegt hat, um auf diese Weise Querverbindungen herzustellen zwischen den einzelnen Protagonisten der Berliner Elektrolandschaft. Es sollen Leute zu Wort kommen, die ihr Leben dieser Art von Sommer gewidmet haben, egal, ob sie nun auf der Macher- oder der Konsumentenseite stehen.
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Soll dabei nur der locker-flockige Sommeraspekt vorkommen oder willst Du auch schwierigere Themenfelder aufgreifen, wie zum Beispiel den Drogenkonsum, der in der Elektroszene ja durchaus eine Rolle spielt?
André Spilker: Ich will gar nicht leugnen, dass Drogen mit der elektronischen Musik viel zu tun haben. Wenn uns nun jemand eine Geschichte über Drogenkonsum erzählen will, dann werden wir versuchen, passende Bilder hierfür zu finden. Ohne dabei allerdings Leute beim Konsumieren von Drogen zu zeigen und sie dadurch möglicherweise an den Pranger zu stellen. Ich will mit dieser Dokumentation aber keinesfalls Schönfärberei betreiben, eine Welt darstellen, in der es nur Blümchen auf der Heide gibt. Es sollen definitiv auch dunklere Aspekte, wenn man so will, in das Projekt miteinfließen.
Wie wichtig ist Berlin als Kulisse hierfür?
André Spilker: Sehr wichtig selbstverständlich, denn hier hat man ein einzigartiges Panorama für ein derartiges Projekt. Die Hinterhöfe, die Straßenschluchten, die Abrisshäuser, die Parks, die Natur um Berlin herum, die Seen, all das, wo sich der Berliner Sommer abspielt. Das will ich porträtieren.
Warum eigentlich dieser Fokus auf die elektronische Musik? Sie spielt sicherlich eine äußerst wichtige Rolle in Berlin, aber es ist doch nicht die einzige Musikrichtung, die den Berliner Sommer prägt.
André Spilker: Das hat erst einmal persönliche Gründe. Ich habe mir die Berliner Elektroszene, wenn man diese Bezeichnung verwenden will, herausgepickt, weil es eben die Szene ist, in der ich mich bewege. Es ist schon richtig, dass man einen ähnlichen Film über Rock drehen könnte, obwohl die Aspekte, die mich interessieren, schon stark mit elektronischer Musik verbunden sind. Ich habe jedenfalls noch nie ein Rock-Open-Air unter irgendeiner Brücke hier gesehen.
Um hier mal ein bisschen Ursachenforschung zu betreiben: Wie bist Du eigentlich bei der elektronischen Musik gelandet?
André Spilker: Wie gesagt, ich bin in Rostock aufgewachsen und hier gab es die Wahl zwischen elektronischer Musik oder keiner Musik (lacht). Ich bin ein Kind der 1990er und bin auf Charlie Lownoise & Mental Theo und was es nicht noch alles gab abgefahren. Über Thunderdome und Drum‘n‘Bass bin ich dann zum Techno gekommen. Ich habe allerdings nie selbst Musik produziert oder wenigstens aufgelegt. Ich habe meine Prioritäten woanders entdeckt, also auf der Konsumenten- beziehungsweise Beobachterseite.
Kommen wir zurück zu Deinem Projekt. Ihr habt euch entschieden, das Projekt über die Plattform startnext.de mittels Crowdfunding zu finanzieren. Warum?
André Spilker: Ich hatte durch meine Arbeit und meine Erfahrungen das Gefühl, dass es viele Leute gibt, die ein Projekt wie „Berliner Sommer“ interessant finden könnten. Wenn nun alle diese Leute bereit wären, die Dokumentation mit nur 5 Euro zu unterstützen, dann hätten wir das Geld bald zusammen. Zudem bekommen die Leute, die etwas geben, auch etwas zurück, etwa T-Shirts, den Film-Soundtrack und so weiter. Für jemanden, der gerne etwas mehr beisteuern möchte, bietet sich zum Beispiel sogar die Möglichkeit, zwei Tage im Studio mit Andreas Henneberg von The Glitz zu verbringen und mit ihm einen Song aufzunehmen. Ich finde generell, dass diese Idee etwas natürliches hat. Wenn es genug Menschen gibt, die das Projekt faszinierend finden und es dementsprechend unterstützen, dann wird es diesen Film auch geben. Ich denke, dass das sehr viel besser ist, als irgendwo betteln zu gehen und sich mit Leuten herumschlagen zu müssen, die mit diesem Thema eigentlich gar nichts zu tun haben. Dieses Konzept gibt uns zudem viel mehr Freiheit, weil wir tatsächlich den Film drehen können, den wir machen wollen und nicht an irgendwelche Gremienbeschlüsse gebunden sind.
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30.000 Euro in so kurzer Zeit aufzubringen klingt sehr ambitioniert.
André Spilker: Wir haben lange über diesen Betrag nachgedacht. Wir wollen einen Film machen, der einen gewissen Qualitätsstandard liefert. Deswegen haben wir beim Crowdfunding eine Summe aufgerufen, die für eine derartige Dokumentation realistisch ist. Manche Leute erwecken den Eindruck, dass man eine gute 90-minütige Doku für 5.000 Euro machen kann, was aber schlichtweg unmöglich ist. Bei einem Projekt dieser Größenordnung sind mehrere Leute involviert, die mit ihrem Herzblut monatelang daran arbeiten und die von irgendetwas leben müssen. Von den Kosten für die Technik ganz zu schweigen.
Das Crowdfunding läuft noch bis 12. April 2013. Ist dieser enge zeitliche Rahmen eher Druck oder Ansporn für euch?
André Spilker: Es ist eine Mischung aus beidem. Natürlich schöpft man alle Möglichkeiten aus, das Geld einzuwerben. Aber ich will für mich selbst das Gefühl haben, dass die Leute diesen Film wirklich wollen. Jetzt ist erst einmal wichtig, dieses Projekt so bekannt wie möglich zu machen, denn je mehr Leute davon wissen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir das Geld zusammenbekommen.
Welche Bedeutung kommt dabei den Teaser-Filmen, die ihr zum Beispiel mit AKA AKA und Mollono.Bass als Werbemaßnahme gedreht habt, zu?
André Spilker: Eine sehr große. Mit diesen Teasern sollen einerseits mögliche spätere Protagonisten des Films schon im Vorfeld in das Projekt miteingebunden werden. Den Leuten soll dadurch gezeigt werden, dass wir nicht nur einen Film über diese Szene machen, sondern dass die Szene bei diesem Projekt auch mitwirkt und selbst ein Interesse am Entstehen dieser Dokumentation hat. Und andererseits, wenn Leute wie Mollono.Bass oder AKA AKA das auf ihren Facebook-Seiten posten, dann bekommen wir hier natürlich ein große Reichweite für unser Projekt.
Es gibt im Netz auch Leute, die dieses Projekt kritisch sehen, die sagen, Berlin ist ohnehin schon so überlaufen, diese originäre Kultur verwässert immer weiter und durch solche Dokumentationen wird dieser Prozess noch beschleunigt. Wie reagierst Du darauf?
André Spilker: Ich habe zunächst einmal Respekt vor Leuten, die das so empfinden und natürlich ist hier ein Funke Wahrheit dran. Aber die Berliner Elektroszene wird zum Beispiel auch im Easy-Jet-Reiseführer ausführlich behandelt, hinzu kommen Leute, die alles mit ihrem Smartphone dokumentieren und das dann ins Netz stellen. Ich bin der Ansicht, dass es die Berliner Elektrolandschaft und die Menschen, die sich in ihr bewegen, längst einmal verdient haben, in einem Kinofilm porträtiert zu werden. Und das ist für mich auch nichts Negatives, denn diese ganze Kultur ist etwas Schönes und warum soll ein Film darüber plötzlich negativ sein?
Ist dabei der Anspruch „Kinofilm“ nicht etwas größenwahnsinnig?
André Spilker: Ich sage scheiß‘ drauf, think big. Kinofilm ist jetzt nicht so gemeint, dass er in jedem Multiplex in Deutschland laufen soll. Zunächst einmal gibt das Wort „Kino“ gewisse Standards vor, es soll den Leuten verdeutlichen, was für ein hoher qualitativer Anspruch hinter dieser Dokumentation steckt. Kino bedeutet dann für mich, dass der Film in kleinen Programmkinos läuft, oder auch mal bei einem Open-Air-Screening, es geht um dieses Flair, das einem nur das Kinoformat bieten kann und das eine ganz spezielle Atmosphäre schafft, die dem Film sicherlich angemessen wäre. Bis dahin ist allerdings noch viel zu tun und die nächsten Tage und Wochen werden sicherlich sehr nervenaufreibend, aber auch aufregend werden. Mal sehen, was am Ende dabei herauskommt…
An alle Leser von elektro-chronisten.de:
Hier nochmal die Seite, auf der man das Projekt „Berliner Sommer“ finanziell unterstützen kann: http://www.startnext.de/berlinersommer
Wer das nicht möchte oder es sich nicht leisten kann, dieses Projekt aber trotzdem interessant findet, der sollte diese Nummer (gerne auch Andrés Interview bei elektro-chronisten.de ;)) auf seinen Facebook-Seiten und sonstigen digitalen Kanälen teilen, damit André und seine Crew möglichst viel Aufmerksamkeit bekommen.
Vielen Dank (auch von elektro-chronistischer Seite)!
Sebastian
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