Die Vögel: Aus Knochen und aus Stein

Nicht viele Künstler aus der deutschen Elektroszene haben einen echten Welthit gelandet. Genau genommen trifft das auch nicht auf Die Vögel zu. Die Melodie ihres Krachers „Blaue Moschee“ wurde lediglich für die Hymne eines Sportgroßereignisses zweitverwertet. Dieses Lied kann man sich dabei getrost sparen. Was man sich hingegen nicht sparen sollte, ist der brillante Sound der Vögel selbst.

Von Sebastian Binder  

So mancher Elektrofan dürfte sich verwundert die Ohren gerieben haben, als er das erste Mal den offiziellen Song für die Fußball-EM 2012 in Polen und der Ukraine gehört hat. Oceanas „Endless Summer“ ist eigentlich ein belangloses Eurodance-Nümmerchen und wäre nicht weiter der Rede wert, wenn es da nicht diese Besonderheit geben würde (nur der Vollständigkeit halber: 8. Lied in der Playlist). Denn bei 1:35 Minuten setzt plötzlich eine Melodie ein, die Kennern der elektronischen Tanzmusik nur allzu vertraut ist und zu der wohl schon so mancher im Club extatisch gefeiert hat. Es ist die Melodie aus Die Vögels musikalischem Monster „Blaue Moschee“, das im Jahr 2009 ein veritabler Underground-Hit war und sogar von Groß-DJs wie Sven Väth gespielt wurde.

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Zu recht, denn „Blaue Moschee“ ist ein brillantes Stück elektronischer Musik. Die knurrende, wütende Tuba gibt die Schubrichtung vor, die Trompetenmelodie verfeinert sie durch ihre absolute Unverwechselbarkeit. Und obwohl dieser Track etwas herausstechend Minimalistisches hat, ist er trotzdem oder gerade deswegen unverkennbar. Aber wie um alles in der Welt wird ausgerechnet dieses Stück zur Grundlage eines Songs, der für ein Millionenpublikum gedacht ist? Alles begann damit, dass sich der Produzent von Oceana per E-Mail bei Jakobus Siebels und Mense Reents, so die Namen der Vögel, meldete und sagte, dass es um den offiziellen EM-Song gehe: „Wir haben erst gar nicht geantwortet und irgendwie war es uns auch egal“, erzählen sie der Berliner Morgenpost, denn: „Fußball und Autos interessieren uns nicht.“ Als schließlich klar wurde, dass es nicht um die Komposition eines EM-Songs ging, sondern nur um die Zweitverwertung ihrer Melodie, haben sie die Geschichte an ihr Label Pampa Records weitergegeben: „Um das Business kümmern sich besser Manager als Musiker“, so ihr berechtigter Einwand. Und damit waren Die Vögel Teil der offiziellen EM-Hymne. Oceanas Song wurde auf YouTube übrigens fast 57 Millionen mal angeklickt, es gibt also eine Menge Leute, die die markante Melodie in sich aufgesogen haben. Ob wirklich viele von ihnen wissen, dass es sich bei dieser Melodie um „Blaue Moschee“ handelt, darf allerdings bezweifelt werden. Die Vögel haben sich jedenfalls nie große Mühe gegeben, alle Leute darauf aufmerksam zu machen, dass die Melodie dieses Welthits von ihnen stammt. „So müssen wir unseren Underground-Arsch nicht dafür hinhalten, was im Mainstream verbrochen wird“, erklärt Jakobus diesen Umstand und man kann sich vorstellen, dass Oceanas EM-Song nicht zu seinen Lieblingsliedern gehört.

Denn wie anfangs erwähnt: Oceanas „Endless Summer“ ist belanglos, die Musik der Vögel ist alles andere als das. Das beweist auch das zweite, auf der Blaue-Moschee-EP erschienene Lied „Petardo“. Die Flötenmelodie verursacht auch beim hundertsten Anhören noch eine Gänsehaut und allein das zeigt, welche Genialität dahinter steckt. Die Vögel selbst gehen damit allerdings eher locker-bescheiden um. „Wir werden überall auf diese Melodie angesprochen, ob im Club, auf Festivals oder in der Berliner Philharmonie“, sagt Mense gegenüber der Badischen Zeitung, „für viele Leute ist diese Tonfolge das Größte überhaupt, für uns aber nur drei Noten.“ Für „Fratzengulasch“ hingegen haben sie sich etwas Neues überlegt und eine Sängerin ins Boot geholt. Nichts besonderes? Vielleicht, wenn da nicht der Text wäre: „Ich hab‘ mir ausgedacht, Du wirst ein Vogel sein. Wir bauen uns ein Pferd aus Knochen und aus Stein. Ich wurde ausgedacht, Du wirst ein Knochen sein. Wir bauen uns ein Pferd aus Vögeln und aus Stein.“ Was wollen uns Die Vögel mit diesen Zeilen sagen? Alles ist vorherbestimmt, es gibt keinen Ausweg, alles hängt miteinander zusammen, nichts ergibt einen Sinn? Es gibt wohl kaum einen Text in der elektronischen Musikwelt, über den sich so viel spekulieren und rätseln lässt wie über „Fratzengulasch“. Und genau hier haben wir wieder das charakteristische Vögel-Merkmal: Der Text ist in diesem Musikbereich einzigartig und unverkennbar.

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Es ist wohl nicht zu weit hergeholt, wenn man behauptet, dass sich Die Vögel als Künstler definieren, deren Anspruch es ist, Werke zu produzieren. Das würde auch ihren leider viel zu geringen Output erklären, denn neben den bereits genannten Liedern, „Maikäferbenzin“,„Empire“ und ihrem Remix von Dntels „My Orphaned Son“ gibt es nicht mehr allzu viel von den Vögeln. Doch vielleicht ist es auch gut, dass die beiden auf Klasse statt auf Masse setzen, solange die vereinzelten Vögel-Veröffentlichungen weiterhin solche Kracher sind. Zumal sie auch beide noch in andere Musikprojekte involviert sind: Mense ist zum Beispiel Mitglied der Goldenen Zitronen, Jakobus von JaKönigJa.

Dennoch bleibt ihnen glücklicherweise ab und zu Zeit, gemeinsam als Die Vögel aufzutreten. Und diese Auftritte sind ein Hammer, vor allem, wenn sie „Blaue Moschee“ spielen. Nur der Beat kommt vom Band, Trompete und Tuba werden von Mense und Jakobus live gespielt. Ein Erlebnis, bei dem wohl so mancher Lust bekommt, mit dem eigenen ausgedachten Pferd aus Vögeln und aus Stein über die Tanzfläche zu galoppieren.

Dennoch sind diese Auftritte nur ein kurzer, flüchtiger Trost, denn einige Leute warten sicherlich schon sehnsüchtig auf neue Tracks der Vögel. Vielleicht versehen mit aktionistisch-avantgardistischen Bläsermelodien und expressionistisch-dadaistischen Versstücken, abseits aller Fußball-EM-Mainstream-Massenmarkt-Phänomene. Ja, das hab‘ ich mir ausgedacht, liebe Vögel…

Bild 1: Die (?) Vögel (Copyright: Jakub Halun, zur Verfügung gestellt auf Wikimedia (CC-Lizenz))

Bild 2: Die-Vögel-Mitgründer Mense Reents im Studio