Tube & Berger: Messerscharfe Kling(en)kunst

Tube & Berger, jedem, der sich ein wenig für elektronische Musik interessiert, ist dieser Name ein Begriff. Schließlich mischen die beiden schon eine ganze Weile in der Szene mit und haben schon die ein oder andere Duftmarke gesetzt, die man so leicht nicht mehr aus dem beschwingten Tanzbein bekommt. Denn wo Tube & Berger draufsteht, ist vor allem eines drin: Extrem guter Sound, den man gehört haben sollte.

Von Sebastian Binder 

Die Stadt der Messer, des Zerschneidens, der rasierenden Klingen, der Schwerter, der Scheren und aller anderen Gegenstände, mit denen man Sachen zerteilen, zerkleinern, zerhäckseln, zer-was-auch-immer kann. Die meisten Leute werden nun wissen, von welcher Stadt die Rede ist: Solingen, der deutsche Inbegriff der Klingenkunst. Was wahrscheinlich nicht so viele Leute wissen, ist, dass aus Solingen auch feinster elektronischer Sound kommt, auf den das Prädikat „messerscharf“ durchaus passt.

Gemeint ist in diesem Fall natürlich niemand anderes als Arndt Roerig und Marko Vidovic, den meisten wahrscheinlich besser bekannt als Tube & Berger. Scheinbar hatten die beiden in den 1990ern nicht das große Bedürfnis, Teil der Solinger Klingentradition zu werden und entschlossen sich daher, in die musikalische Richtung zu gehen. Doch die elektronische Grundhaltung, für die sie heute fast berühmt sind, fehlte in ihren Anfangstagen noch. Stattdessen fühlten sie sich dem Punkrock zugehörig, die rebellische Jugend, man kennt das ja. Doch dann schlug die Technobombe mit voller Wucht in Deutschland ein und auch Arndt und Marko entschieden sich, dass ab sofort dies ihre neue Form der musikalischen Ausdruckskunst sein würde. Zugegeben, so ein altes tubisch-bergerisches Punklied, bei dem die Missstände in diesem Land von A bis Z angeprangert werden, würde man durchaus gerne mal hören. Ob dieser Punkrock allerdings mit der Qualität ihrer elektronischen Klangkunst mithalten könnte, darf wohl bezweifelt werden. Verlassen wir daher das letzte Jahrtausend und springen ins Jahr 2004, als Marko und Arndt, jetzt als Tube & Berger, ihren Durchbruch hatten. Mit dem Song „Straight Ahead“ zusammen mit der New-Wave-Legende Chrissie Hynde gelang ihnen damals ein Volltreffer, der es sogar bis auf Platz 1 der amerikanischen Billboard Dance Radio Charts schaffte. Und nun begann die Geschichte richtig Fahrt aufzunehmen. Bookings und Remixanfragen rund um den Globus folgten und der Sound von Tube & Berger begann, Konturen anzunehmen. Zum Beispiel mit ihrem brillanten „Slumdog Superstar“, vielleicht immer noch einer ihrer besten Tracks. Die Melodie der indischen Sitar geht runter wie Öl und die Stimme, die immer nur monoton „Bah“ vor sich hinsagt, mischen sich so perfekt über die rollende Bassline, dass dieses Lied von einer nicht zu verwüstenden Frische ist und man es selbst Jahre nach seinem Erscheinen Unwissenden als „brandneu“ verkaufen kann. Qualitativ nicht weniger gut sind dabei Tracks wie das entspanntere „Six O’Clock“, das brutal anschiebende „Kreidler Flory“ und selbstverständlich „Free Tribe“. Es ist fast ein wenig fies von Tube & Berger gewesen, dass ihre Fans bis 2012 warten mussten, bis endlich ein komplettes Album von ihnen erschienen ist. Aber wie heißt es doch in der Mottenkiste der verstaubten Volksweisheiten so schön: „Gut Ding will Weile haben.“

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Und so ein „Gut Ding“ ist ihr Debütalbum „Introlution“ definitiv geworden. Dieses Werk war sicherlich eine der Referenzscheiben des Jahres 2012 mit mörderisch guten Tracks wie „Surfin“, „Escape From Berlin“ oder „Mushroum Soup“, ganz zu schweigen vom Oberkracher „Friends“. Mit „Evolution And Consciouness“ knüpfen sie sogar an ihre alten Punkwurzeln an und vielleicht kann man sich bei diesem Song sogar ein wenig vorstellen, wie die beiden Radaubrüder früher geklungen haben könnten. Das heißt aber nicht, dass sich die beiden auf diesen Lorbeeren ausgeruht hätten, denn mit der Single „Imprint Of Pleasure“ ist ihnen auch in diesem Jahr eine echte Monsternummer gelungen, die auf YouTube bereits millionenfach gespielt wurde.

Dass Tube & Berger ebenfalls jede Menge zu bieten haben, wird einem spätestens dann klar, wenn man sich einmal ihre Version von Tischbeins „Sympathie“ anhört. Dieser Track verbreitet auch heute noch dermaßen viel gute Laune, dass man dem Text mit jedem Kick einfach nur nickend-groovend zustimmen muss: „Und dann diese Melodie, die so heimlich und ganz leise und auf ganz spezielle Weise die Mundwinkel nach oben zieht, schön, dass es Gefühle gibt…“ Ja, bei diesem Lied freut man sich tatsächlich, dass man sich selbst über Musik freuen und seine Laune dadurch exponentiell steigern kann, denn nichts anderem dient dieses Track. Aber auch andere Remixe der beiden, seien es nun neuere Sachen wie Pirupa & Leons „Everylife“ oder schon ältere Banger wie L-Kubics „Future Boy“ zeugen davon, dass die beiden durchaus Ahnung davon haben, wie man Songs stilsicher in ein neues Gewand packt.

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Liest man ihre Biographie, so stellt man fest, dass Tube & Berger allem Anschein nach eine Aversion gegen Major Labels haben und sich ziemlich früh eine Lösung ob dieses Dilemmas zurechtgelegt haben: „Um sich keiner Major-Label-Diktatur unterwerfen zu müssen und, frei von den Einflüssen geldgieriger Manager, einen eigenen musikalischen Weg gehen zu können, gründeten sie zusammen mit Freundin und DJ-Kollegin Juliet Sikora das Label ‚Kittball Records‘.“ Keine unkluge Entscheidung, wie man sagen muss, denn heute erscheinen auf Kittball in feiner Regelmäßigkeit starke Tracks und die drei Labelchefs zeigen dadurch, dass man Musik auch ohne Major-Unterstützung erfolgreich unter die Leute bringen kann. Beispielsweise haben sie auf diesem Label das Projekt „It Began In Africa“ angestoßen, unterstützt von Elektrogrößen wie Timo Maas, Format:B oder Ida Engberg, bei dem der Erlös in die Unterstützung junger afrikanischer Musiker fließt. Eine starke Initiative, vor der man nur den Hut ziehen kann, und die als weiteren positiven Nebeneffekt jede Menge starke elektronische Musik hervorgebracht hat.

Man kann Tube & Berger also nur dazu beglückwünschen, der Solinger Klingenindustrie den Rücken zugewandt und sich stattdessen für die Produktion von scharfem technoiden Sound entschieden zu haben. Denn mal ehrlich: Auf den Bühnen in London, Paris und Ibiza ist doch deutlich mehr los als in der überschaubaren nordrhein-westfälischen Klingenstadt. Und mit Sicherheit erwartet uns somit von Marko und Arndt in Zukunft noch so mancher Tanz auf der Rasierklinge. Auf der elektronischen, wohlgemerkt.

Photos by: Paco Tejedor Gil

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