Johannes Brecht: Die Musik der Menschen

Es ist manchmal sehr spannend zu beobachten, was wohl ein Profimusiker in der elektronischen Musik alles anstellen kann. Johannes Brecht gehört zu diesen Vertretern und sein Sound zeigt auf beeindruckende Weise, dass klassisch ausgebildete Musiker der elektronischen Musikszene durchaus einige interessante Facetten hinzufügen können. Wie das wohl sein berühmter Namensvetter beurteilen würde?

Von Sebastian Binder  

„Aus den Bücherhallen / Treten die Schlächter. / Die Kinder an sich drückend / Stehen die Mütter und durchforschen entgeistert / Den Himmel nach den Erfindungen der Gelehrten.“, schrieb einst Bertolt Brecht in seinem Gedicht „1940“, dessen dunkle Dialektik an dieser Stelle aber nicht das Thema sein soll. Stattdessen wandeln wir die Zeilen des deutschen Wortkünstlers ein wenig ab: „Aus den Diskohallen / Treten die DJs./ Die Kinder an sich drückend / Stehen die Süchtigen und durchforschen begeistert / Den Himmel nach den Erfindungen der Gelehrten.“ Zugegeben, es ist nicht ganz so gut geschrieben wie es der Meister des epischen Theaters vermochte, aber das ist auch nicht der Anspruch dieses Textes. Denn in diesem geht es zwar auch um Brecht, doch nicht um Bertolt, sondern um Johannes, einen der interessantesten Newcomer, den die elektronische Theaterszene derzeit zu bieten hat.

Johannes Brecht ist kein typischer Vertreter der elektronischen Musikzunft, deren Künstler oftmals Quereinsteiger sind, über das Schrauben und Herumdoktorn in Ableton ihren Sound entwickeln, ohne dabei oftmals eine klassische Musikausbildung genossen zu haben. Das ist dabei nichts Schlechtes, im Gegenteil, oftmals bringen Laien sogar die spannenderen Kompositionen zustande. Trotzdem ist es interessant zu sehen, wie sich Profimusiker auf dem elektronischen Territorium bewegen, denn genau ein solcher ist Johannes Brecht. Schon als Kind lernte er Klavier und Kontrabass und war in jungen Jahren bereits auf Tour mit Orchestern, wobei ihm sein Spiel sogar einige Talentpreise einbrachte. Über die Jahre wuchs zudem sein Interesse an Jazz, zudem spielte er in verschiedenen Bands und komponierte Musik für Orchester. Nun stellt sich natürlich die Frage, wie so jemand in stickigen, verschwitzten Clubs landet anstatt seine Zeit gediegen im Orchestergraben eines Staatstheaters zu verbringen. Musiker haben in der Regel einen sehr weiten Horizont, was die verschiedenen Arten von Musik angeht, denn Monotonie führt schnell zu Langeweile und so ist es keineswegs verwunderlich, dass Johannes irgendwann die Welt der 125 Beats pro Minute, der eingängigen Melodien, verstörenden Geräusche und gesampelter Vocals für sich entdeckte und selbst an seinem Sound zu basteln anfing.

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Dass dieser Sound mittlerweile einem größeren Publikum bekannt ist, ist in erster Linie Henrik Schwarz zu verdanken. Als der das erste Mal Brechts Tracks hörte, war ihm wohl ziemlich schnell klar, dass es nun an der Zeit ist, sein Label „Sunday-Music“ zu reaktivieren, um den Sound von Johannes unter die Leute zu bringen. Ein Glücksfall für Freunde der elektronischen Tanzmusik, wie sich schnell herausstellte, denn die „Holla EP“, wie Johannes Brechts Debut hieß, war ein echter Kracher. Bereits der titelgebende Track beweist, dass hier ein echter Könner am Werk ist. „Holla“ ist sicher den deeperen Vertretern der elektronischen Musik zuzurechnen, entwickelt aber dennoch nach und nach einen ungeheuren Druck auf das Trommelfell, sodass man diese Nummer auch ohne Probleme spielen kann, wenn die Tanzfläche noch am Brodeln ist und nicht nur die After-Hour-Gestalten sich vor dem Licht der Sonne verstecken. „Bob“ hingegen kommt auf den ersten Hörblick minimalistischer daher, doch die faszinierende Komplexität des Songs erschließt sich erst bei tieferem Eintauchen und bestätigt erneut: Ja, Könner. Dennoch ist der beste Track der EP wohl „People“, das bereits nach wenigen Sekunden eine derartige Wucht entfaltet, dass es einem auf der Tanzfläche die Füße wegzureißen droht. Dazu das halluzinierende Sprachsample, das Piano, das klingt, als würde es mit dem Vorschlaghammer gespielt werden, und fertig ist ein Track, der zum Besten gehört, was derzeit im elektronischen Deutschland aus den Diskohallen schallen kann.

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Remixtechnisch hat Johannes Brecht ebenfalls schon aufhorchen lassen. Zuvorderst zu nennen ist an dieser Stelle sein äußerst spannendes Edit von Henrik Schwarz und Kuniyukis „Session 2“, das seine Klasse in seiner zurückhaltenden, unaufdringlichen Art entwickelt. Mit mehr Druck, aber nicht weniger Ambitionen ist sein Remix von Fetsums „LettersFromDamascus“ ausgestattet. Knurrende, changierende Synthesizer, oszillierende Vokals, ja, auch damit kann man sich mehr als anfreunden. Ebenfalls einen kleinen Hörausflug lohnt sein Edit zum Temptations-Klassiker „Cloud 9“, das einen nostalgischen und dennoch zeitgemäßen Blick in die goldene Ära des Soul eröffnet.

Johannes Brecht ist Musiker und für einen Musiker gehört es sich natürlich, dass er seinen Sound auch live präsentiert. Die mittlerweile schon beachtliche Anzahl an Bookings zeigt dabei, dass die Menschen Brecht heute nicht mehr nur im Theater, sondern auch an den Controllern sehen wollen. Zudem spielt Johannes ab und an in der Liveband von Henrik Schwarz und man kann sich vorstellen, dass hier sicherlich musikalische Qualitätsarbeit abgeliefert wird.

Für die Zukunft scheint Johannes also gerüstet zu sein. Sein neuer Track „Freedom Walks“, der demnächst auf Mule Musiq erscheint und seine auf Poker Flat Recordings angekündigte EP dürfen jedenfalls mit Spannung erwartet werden. Und natürlich hoffen wir, dass es nicht eines Tages wie „Der gute Mensch von Sezuan“ endet: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Aber bei diesem Sound muss man sich da wohl keine Sorgen machen.