Clubs, Konzerte und Festivals: Wenn Stille unerträglich laut wird

Die Pandemie ist vor allem für Musikfans durch die allgegenwärtige, allumfassende Stille geprägt. Woher diese Stille kommt und warum dieser Zustand so schwer zu ertragen ist. Der Versuch einer Annäherung in kranken Zeiten.

Von Sebastian Binder

Ohne uns ist es still – heißt eine Aktion, mit der Küstlerinnen und Kulturschaffende darauf aufmerksam machen, dass es bei allem Verständnis für die Corona-Maßnahmen auch Perspektiven für die Kunst im Land Beethovens, Goethes, Dürers geben muss. Vor allem das letzte Wort dieses kurzen Satzes ist es, die Freunde von 120 stampfenden Beats pro Minute melancholische Tränen in die Augen treibt. Stille.

Vielleicht ist das einer der vorherrschenden Eindrücke in dieser Pandemie – mal abgesehen von ein paar schreienden Querdenkern und den Untergangs-Apologeten auf der anderen Seite als ihrem natürlichen Gegenpart: Die Stille, die sich überall eingeschlichen hat. Man hört sie zuhause, im Auto, der U-Bahn, in der morgendlichen Zoom-Konferenz, im abendlichen Teams-Meeting. Selbst wenn alle reden, irgendein Klang fehlt, dieser Raum im eigenen Leben, der früher von musikalischem Leben erfüllt war, in ihm herrscht Stille, Totenstille, und diese Stille breitet sich aus, frisst sich in die anderen Bereiche des Seins hinein und selbst wenn man behauptet, man hört sie nicht: Diese Stille ist da und sie ist manchmal lauter als alles andere.

Wenn es trotz Musik still ist

Natürlich, Musik war und ist etwas, das man auch alleine genießen kann, oft ist es sogar schöner, wenn man sich nur auf die einzelnen Töne, Klänge, auf alle Nuancen konzentriert, ohne, dass irgendwer mit einer semi-unterhaltsamen Anekdote dazwischenfunkt. Doch Musik hat eben auf der anderen Seite auch etwas Verbindendes und das wohl in einem stärkerem Maß als jede andere Kunstform.

Das Feiern in Clubs, das Durchdrehen auf Konzerten, das interessierte Zuhören in einer Jazzbar oder sei es nur das vorsichtige Rotieren auf der Tanzfläche im Seniorentreff, sie alle haben ironischerweise ein verbindendes Element: All das wird gemeinsam mit anderen erlebt, die körperliche Nähe, mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt, ist Teil der Erfahrung, für manche gar – oft nicht einmal zu unrecht – das zentrale Element, etwas, das die Musik noch einmal in eine andere Sphäre hebt.

Und genau das ist es, was momentan diese unüberhörbare Stille verursacht: Musik ist fast ausschließlich in die Individualität zurückgewandert, das gemeinsame Erleben von Klangwelten scheint momentan unendlich weit weg zu sein, da ist auch jeder noch so gut gemeinte, noch so gut gemachte Livestream nur ein schwacher Trost.

Ekstase, Adrenalin, Freude, manchmal auch Melancholie oder gar Wut lassen sich zuhause auf der Couch beim Starren auf einen Bildschirm eben nicht so empfinden, als würde man ohne Zeitgefühl in einem finsteren Keller tanzen oder vor einer leuchtenden Bühne auf und ab springen. In den eigenen Wänden herrscht oft eine bedrückende Stille, selbst wenn die Musik läuft und das hat einen einfachen Grund: Links von mir ist niemand. Und rechts von mir ist niemand. Und hinter und vor mir ist auch niemand. Zur Musik tanzt nur die Stille mit mir und nicht wenigen von uns geht dieser Dauergast sicherlich mittlerweile ziemlich auf die Nerven.

Die Hoffnung, dass der Exzess zurückkehrt


Es ist nicht ungewöhnlich, dass in einer Pandemie die Party zuerst stirbt. Es hat seine guten Gründe, dass exzessive Menschenaufläufe momentan verboten sind. Das heißt aber nicht, dass man sie nicht vermissen darf. Dass man sich nicht wünschen darf, dass sie eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages wieder möglich sind, man dicht an dichter mit anderen Menschen wieder feiern kann, ohne Angst haben zu müssen, ohne dieses seltsame Gefühl, das heute schon drei Leute auslösen, die einem auf dem Gehsteig entgegenkommen.

Der Musik fehlt etwas, wenn sie nicht live, in Clubs zelebriert werden kann, wenn nicht hunderte, tausende Menschen sich zum Klang dieser universellen Sprache bewegen. Wie wichtig das Verbindende der Musik ist, wird uns vielleicht erst jetzt vollends bewusst, da dieses Element nicht mehr da ist. Das Fehlen als Stille zu bezeichnen trifft es vielleicht nicht in Gänze, doch es macht deutlich, dass etwas nicht mehr zu hören ist.

Die gute Nachricht: Trotz der ohrenbetäubenden Stille im Moment ist am Klanghorizont etwas zu hören. Und ob man dieses leise, lauter werdende Geräusch „Hoffnung“ nennt, bleibt letztlich jedem selbst überlassen…