Kollektiv Ost: „Los, jetzt noch so einen!“

Im Interview mit elektro-chronisten.de reden Kollektiv Ost über das Auflegen, wie sie an ihrem Sound schrauben, über das Remixen und wie sie die Coronazeit erlebt haben. Über persönliche Fortschritte und größere Entwicklungen – und wie das alles ab und an zusammenhängt…

Von Sebastian Binder

Sandro und Marcel, Fans elektronischer Klänge besser bekannt als Kollektiv Ost, sind schon eine ganze Weile dabei – und daher haben sie auch einiges zu erzählen. In einem ebenso langen wie unterhaltsamem Gespräch haben sie uns verraten, wie sie ihre virtuelle Plattentasche packen, woher die Inspiration für ihre Tracks kommt, warum sich auch Taylor Swift remixen würden und wie einen die Coronazeit in ein kreatives Loch stürzen lassen kann.

Wie seid Ihr denn zur elektronischen Musik gekommen?
Marcel: Mich hat ein Kumpel drauf gebracht. Wir waren erst auf einer Houseparty und sind danach in den Club. Tja, dann war es eigentlich schon um mich geschehen.
Sandro: Ich habe immer Rave Satellite auf Tape aufgezeichnet.
Marcel: … beste Radiosendung…
Sandro: Mit einer irren Atennenkonstruktion, die ich mit Alufolie umwickelt und aus dem Fenster gelegt hatte, damit ich überhaupt einen Berliner Sender reinbekomme.

Reden wir über’s Auflegen. Beschreibt mal Eure Vorgehensweise: Seid Ihr auf der Bühne eher spontan oder habt Ihr Eure Sets schon fertig vorbereitet?
Sandro: Naja, ich packe praktisch immer noch eine „Plattentasche“. Sprich, so wie ich früher einen Plattenkoffer zusammengestellt habe, bereite ich heute meine Sticks vor. Da sind in der Regel 100 bis 150 Titel drauf und daraus wird ausgewählt. Alles spontan, so wie es uns unser Gefühl sagt.
Marcel: Bei einem Festival kann es sein, dass wir vielleicht den ersten und letzten Titel vorbereiten, aber sonst eigentlich nicht.
Sandro: Das bringt sowieso nichts, denn das Gefühl, das man auf der Bühne hat, kann man Zuhause gar nicht simulieren, da hier das Publikum immer mit reinspielt.
Marcel: Es ist ja so, dass die Leute ungefähr wissen, was sie erwartet. Die kommen zum Tanzen und nach 20 Minuten sind sie dann eh drin in unserem Set.

Talent ist wichtig, aber Erfahrung darf man keinesfalls unterschätzen…

Aber was macht demnach einen guten DJ aus? Ist es das Talent oder doch eher die Erfahrung?
Sandro: Die Mischung macht’s. Talent ist natürlich wichtig, aber Erfahrung darf man keinesfalls unterschätzen. Wir hatten in den letzten Jahren bestimmt 1000 Auftritte, da kommt einfach eine gewisse Routine rein, die absolut förderlich ist.

Ihr habt früher mit Vinyl aufgelegt, oder?
Marcel: Ja, bis vor fünf, sechs Jahren haben wir nur mit Vinyl aufgelegt. Und das hat immer Spaß gemacht, ist aber ebenfalls ziemlich unpraktisch. Am Flughafen hoffst du, dass dein Plattenkoffer ankommt, auf dem Festival musst du das Teil zwei, drei Kilometer durch die Gegend schleppen und daher haben wir irgendwann gesagt: Darauf haben wir keinen Bock mehr.

Spielt ihr eigentlich lieber in kleineren Clubs oder auf großen Festivals?
Sandro: Auch hier macht’s ganz klar die Mischung. Kleine Clubs können richtig geil sein. Aber wenn du auf einem Festival einen Riesenfloor mit vielen Menschen mit Hammeranlage bespielst, dann kann dir schon einer abgehen.

Kollektiv Ost beim 3000 Grad Festival

Kommen wir auf Eure eigene Musik zu sprechen: Wie produziert Kollektiv Ost seine Tracks?
Sandro: Das meiste mache ich hier alleine. Wir treffen uns dann ab und an, hören uns die Sachen an und das, was gefällt, wird weitergemacht. In der Regel spiele ich in meinem Studio rum, hab eine Melodie im Kopf oder klicke ein paar Sample-Bänke durch, spiel mit irgendwelchen Geräten und auf irgendwas davon baue ich auf.
Marcel: Manchmal kommen die Ideen auch aus anderen Liedern, dass man zum Beispiel mal eine tolle Bassline oder sonst was hört und das dann weiterentwickelt.

Wie hat sich dann Euer Sound über die Jahre entwickelt?
Sandro: Er ist definitiv nicht mehr so verspielt wie früher, ich würde sagen, er ist erwachsener geworden. Es wird viel mehr Augenmerk auf die Klangqualität gelegt, da habe ich mir früher nicht so viele Gedanken gemacht.
Marcel: Da hattest Du auch noch nicht die Technik dafür. Früher sind wir in einer Ein-Zimmer Wohnung am PC gesessen (beide lachen).
Sandro: Da hat sich seitdem schon was geändert, klar.

Wie geht Ihr an einen Remix ran?
Sandro: Es kommt zunächst mal auf die Samples an. Wenn sie gut sind, nutzt man sie gerne. Sind sie weniger gut oder wenn sie nicht in meine Produktionsweise passen, dann verändere ich schon mehr. Bei einem schönen Remix-Set lehnt man sich in der Regel ans Original an, mit seinen eigenen Einflüssen und seinem Stil.

Lehnt Ihr auch Anfragen ab?
Marcel: Klar. Wir halten es seit Längerem so, dass wir nur zwei bis drei Remixe pro Jahr machen und dann müssen die Sachen einfach zu uns passen.
Sandro: Es macht zudem viel mehr Spaß, wenn man sich mit dem Track, dem Label, dem Künstler identifizieren kann. Und daher macht es auf der anderen Seite keinen Sinn, Arbeit in etwas zu investieren, auf das man keinen Bock hat.

Klar, unwahrscheinliches Szenario, aber: Würdet Ihr – sagen wir mal wegen der Reichweite – auch Sachen von einem Megastar wie Taylor Swift remixen, deren Sound vielleicht nicht unter Euren Top 5 steht?
Sandro: Sofort! Man macht es natürlich nicht nur für die Reichweite, aber man kann seiner Karriere durch solche Sachen einen Schub geben. Und wenn du eine Tonspur von Taylor Swift bekommst, mit der du arbeiten kannst, ganz ehrlich: Die Frau kann singen und das Zeug ist geil produziert. Würde ich sofort machen.
Marcel: Das heißt jetzt nicht, dass wir von jedem „Star“ alles remixen würden. Wenn jetzt zum Beispiel eine Anfrage kommt von… ich will jetzt keine Namen nennen, aber von jemandem, mit dessen Sound und Einstellung wir überhaupt nichts anfangen können, dann machen wir das nicht. Wir wollen ja unsere eigenen Fans nicht vor den Kopf stoßen.

Was hört Ihr eigentlich, wenn Ihr „privat“ Musik hört?
Marcel: Ich höre gerne Depeche Mode und New-Wave-Kram, aber auch gerne mal Deep House, wo das alles nicht so aufgeregt rüberkommt. Die Mucke, die ich am Wochenende spiele, höre ich unter der Woche gar nicht.
Sandro: Ich auch nicht, außer natürlich zur Vorbereitung auf’s Wochenende. Ich höre gerne sehr ruhige Musik oder Ami-HipHop.
Marcel: Sandro schmeißt dann seine Goldketten um…
Sandro: …und dann renn‘ ich rum wie Flavor Flav (Gelächter).

Wir müssen noch ein wenig über die Coronazeit reden. Wie war das für Euch?
Sandro: Die Hölle. Aufstehen, Studio, Schlafen. Man kann die Leute nicht mehr sehen, die man sehen will, sogar das Reisen hat mir gefehlt. Du bist unterwegs, hast Spaß, lernst neue Leute kennen, kommst völlig fertig nach Hause und pennst erst mal zwei Tage. Das fehlt mir komplett.
Marcel: Sicher, die Gesamtsituation ist absolut beschissen. Auf der anderen Seite hat mir diese Pause ganz gut getan, denn die letzten Jahre waren mit den ganzen Reisen sehr intensiv. Doch langsam kommt die Lust wieder, keine Frage.

Ihr habt dieses Jahr schon mal aufgelegt, wie war das für Euch? Anders?
Marcel: Da die Leute Masken getragen haben, hast du zwar von der Mimik weniger gesehen. Aber die Leute hatten alle Bock und die Stimmung war super. Man muss sich erst dran gewöhnen, doch es ist schon mal besser als nichts.
Sandro: Wir hoffen vor allem, dass es im Herbst weitergeht, denn es wäre eine Katastrophe, wenn die Leute jetzt angefixt werden und im September heißt es dann: So, das war’s dann wieder auf unabsehbare Zeit.

Und vom Finanziellen her?
Marcel: Ich hatte davor schon wieder angefangen zu arbeiten, daher ging es bei mir eigentlich und ich bin weicher gefallen als andere.
Sandro: Bei mir war es schon ziemlich heftig. Vor allem am Anfang wurde man komplett allein gelassen. Es war zum Glück ein Puffer da, aber der hält nicht anderthalb Jahre. Aber gut, es kommen auch wieder bessere Zeiten.

Kommen einem da nicht mal Zweifel, dass man mit der Musik auf das „falsche Pferd“ gesetzt hat?
Sandro: Nein, Zweifel hatte ich nie, dass ich den richtigen Weg gegangen bin. Ich gehe diesen Weg seit 15 Jahren und bin glücklich damit, das ist die Hauptsache.

Nochmal zurück zur Musik: Wie hat sich denn die elektronische Musikszene in Deutschland Eurer Auffassung nach in den letzten 20 Jahren entwickelt?
Sandro: Die Szene hat sich untereinander, also in den verschiedenen Bundesländern, angenähert. Man kann nicht mehr wirklich unterscheiden: Das kommt aus Süddeutschland, aus Norddeutschland, aus Ostdeutschland. Was ich im Übrigen sehr schön finde.
Marcel: Die Szene ändert sich auch mit den Leuten, es kommen logischerweise neue Generationen nach. Darauf muss man sich einstellen und manchmal ist es immer noch so wie früher und manchmal eben nicht.

Aber ist die Musik selbst nicht kommerzieller geworden über die Jahre? Oder seht ihr das nicht so?
Sandro: Weiß ich nicht. Elektronische Musik war auch früher schon Teil des Mainstreams, in den 90ern zum Beispiel. Wenn ich heute unsere eigene Sparte betrachte, dann würde ich sagen: Alles beim Alten.
Marcel: Es kommt zudem auf den Künstler an. Wenn man mal einen krassen Charterfolg mit etwas Kommerziellerem hatte, dann kann es sein, dass der Künstler einfach auf dieser Schiene bleibt.

Zum Abschluss: Was kommt als nächstes von Kollektiv Ost? Was habt Ihr in der Pipeline?
Schweigen…
Sandro: Nichts…
Gelächter…
Sandro: Ernsthaft. Wir haben ein Edit von The Ultimate Warlord, an dem wir jetzt die Rechte bekommen haben und das wir raushauen. Und ja, es ist einiges in der Mache, aber ich muss zugeben, dass wir Anfang des Jahres etwas den Antrieb verloren hatten. Wir haben vor ein paar Monaten ein paar Sachen rausgebracht, die wegen Corona im Sande verlaufen sind…
Marcel:… war halt irgendwie für die Katz. Du konntest die Sachen nicht vor Publikum testen und das war richtig komisch. Wir haben einen dieser Remixe dann zuletzt bei unserem Auftritt gespielt und gedacht: Wow, ist doch ganz cool geworden. Doch wenn das fehlt, dann denkst du dir manchmal: Wofür eigentlich?
Sandro: Ich glaube, dass der echte Antrieb kommt, wenn wir jetzt wieder unterwegs sind. Wenn du wochenlang im Studio gesessen bist und dann siehst: Geil, das Ding geht richtig ab. Dann denkst du: Los, jetzt noch so einen!

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Bild-Copyright: Kollektiv Ost, Marie Staggat