René Bourgeois (Part 2): „Ich habe schnell gemerkt, dass die Kacke am Dampfen ist“

Im zweiten Teil des großen Interviews mit elektro-chronisten.de verrät René Bourgeois ein paar Geschichten hinter seinen Remixen, wie er die Corona-Zeit erlebt hat, was ihn außer Sound beschäftigt und wie sich die elektronische Musikszene hierzulande in seinen Augen in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat.

Von Sebastian Binder

Wir haben bereits erfahren, wie René Bourgeois im Berlin der 90er Jahre musikalisch sozialisiert wurde, wie er seine Auftritte als DJ plant und was ihn zu seinem Sound inspiriert.

Nein? Dann lest hier noch einmal den ersten Teil des Interviews

Im zweiten Part des Gesprächs mit elektro-chronisten.de erzählt er ein paar Geschichten hinter seinen Remixen, warum die Corona-Zeit für ihn nicht nur negativ war und wie er die Entwicklung der elektronischen Musikszene in Deutschland in den letzten Jahrzehnten bewertet.

Du hast über die Jahre einige sehr anhörbare Remixe rausgehauen. Erzähl‘ mal, wie Du an einen Remix rangehst.
René Bourgeois: Ich habe ein ganz einfaches Credo: Der Remix muss immer geiler sein als das Original (lacht).

Klingt einleuchtend, aber gehen wir doch etwas mehr ins Detail.
René Bourgeois: Natürlich ist die Remix-Essenz eine große Portion Personality. Nehmen wir als Beispiel meinen „More Rum for the Ska Pirates“-Remix, den ich für Stereo Express‘ „La Vie En Rose“ gemacht habe. Der entstand folgendermaßen: Der damalige Manager von Stereo Express hat mich nach Belgien zu einer Party eingeladen. Die Party fand in einem abgelegenen Waldstück statt und das war eine der verrücktesten Partys, die ich je erlebt habe. Ich habe mich da richtig wohl gefühlt und habe zwei Tage lang mit den Leuten gefeiert. Da habe ich dann auch Ronald, der die Vocals in „La Vie En Rose“ singt, kennen gelernt, habe ewig mit ihm gequatscht und eines der Gesprächsthemen waren Piraten.

Ah, schön langsam sehe ich, wo wir hinsteuern.
René Bourgeois: Genau, denn irgendwann kam die Anfrage, ob ich nicht zu „La Vie En Rose“ einen Remix machen will. Und mir war sofort klar: Du musst irgendwas mit Piraten machen, was natürlich wie die Faust auf’s Auge gepasst hat. Der dazu gebastelte Beat hat sich ein bisschen Ska-mäßig angehört, und schließlich taufte ich das Kind auf den Namen: More Rum for the Ska Pirates Remix. So entstehen meine Remixe, lange Geschichte, aber im Prinzip kann ich Dir zu fast jedem Remix von mir eine derartige erzählen.

Wir haben glücklicherweise keinen Zeitdruck, also versuchen wir es noch mit einer zweiten: Wie war es bei Deinem Remix zum Tomikas „Del Cielo“.
René Bourgeois: Mein guter Freund Oliver Ton und ich haben mal gechillt und er hatte diesen Mix von Tomika dabei und meinte dann: „Hör Dir mal diesen russischen Kinderchor an, das finde ich richtig stylisch“. Ich höre es mir also an und das erste, was ich feststelle: Die Vocals sitzen nicht richtig auf dem Beat. Ich kannte den Ungarn Tomika zu dem Zeitpunkt nicht, aber ich habe ihn einfach mal angeschrieben. Es ging dann ein bisschen hin und her und er meinte schließlich, ob ich ihm das Setzen der Vocals nicht mal zeigen könnte. Und ich habe gesagt: Wenn ich das mache, kann ich auch gleich einen Remix daraus machen, was Tomika super fand.

Hast Du dann lange für den Remix gebraucht?
René Bourgeois: Überhaupt nicht, innerhalb von sechs Stunden stand dieser Track. Jedes Element, das ich gefunden habe, hat sofort gepasst. Ich habe es dann Sascha Braemer und Niconé vorgespielt und Niconé hat das Teil gleich mit nach Paris genommen, wo es die Leute richtig gefeiert haben. Der Track ist vorher schon auf einem Independent-Label erschienen, aber wir haben „Del Cielo“ noch einmal auf Supdub veröffentlicht, wo es noch einmal richtig steil gegangen ist.

Man muss in diesen Tagen natürlich das Thema Corona ansprechen, da es wichtig ist, auch mal die Seite der Künstler zu hören. Beschreibe ein wenig Deine Erfahrungen der letzten Monate.
René Bourgeois: Generell will ich zunächst mal festhalten, dass es uns Künstlern sehr gut getan hätte, wenn uns jemand gesagt hätte: Leute, ihr seid jetzt erst einmal eine ganze Weile raus, kümmert euch in dieser Zeit um irgendetwas anderes. Aber dieses ständige Hin und Her, erst nichts, dann darf man wieder kurz spielen, dann wieder alles zu – da staut sich eine Menge Frust an, die sich bei einigen auch im privaten Bereich geäußert hat.

Wie war es bei Dir persönlich?
René Bourgeois: Ich habe ziemlich schnell gemerkt: Hier ist die Kacke am Dampfen und habe versucht, trotz all dem Negativen – rund 30 meiner Gigs wurden binnen Wochen gecancelt – aus der Sache etwas Positives rauszuziehen. Bei mir war das zum einen, dass ich den Fokus wieder etwas mehr auf mich selbst gelegt habe. Durch das Touren in den letzten Jahren, habe ich den Sport vernachlässigt, das habe ich während Corona geändert… und auch gleich mal 15 Kilo abgenommen. Ich fühle mich fitter, besser und diese Art der Selbstfindung habe ich definitiv mal wieder gebraucht. Auch die zusätzliche Zeit am Wochenende mit meiner zauberhaften Familie habe ich sehr genossen.

Worauf hast Du sonst noch einen Fokus gelegt?
René Bourgeois: Bei mir in der Ecke gibt es einen Jugendclub, in dem ich Jugendlichen schon vor Corona das DJ-Handwerk nähergebracht habe. Nicht nur das Auflegen an sich, sondern auch Sachen wie Marketing oder Musikgeschichte. Das hat mir damals schon eine Menge Spaß gemacht und daher lag der Gedanke nahe, eine Ausbildung zum Musikpädagogen anzufangen, da das etwas Krisensicheres ist, sodass diese Idee während Corona noch besser als ohnehin schon erschienen ist. Also habe ich dieses Studium angefangen und in absehbarer Zeit bin ich ausgebildeter Musikpädagoge.

Hattest Du in den letzten Monaten auch mal Zweifel an Deinem bisherigen künstlerischen Lebensweg?
René Bourgeois: Ein ganz klares Nein. Für mich ist elektronische Musik eine Lebenseinstellung, zumal all das bei mir praktisch einfach passiert ist. Meine Leidenschaft für Musik existiert schon viel länger, als ich Geld damit verdiene, was nur die Krone obendrauf ist. Und mal ganz abgesehen davon habe ich eine großartige Zeit mit meiner Frau und meinen drei Kindern. Ich will mich also nicht beschweren, mir geht’s gut.

Kommen wir noch einmal auf das große Ganze zurück. Jemandem, der wie Du schon so lange dabei ist, muss man diese Frage natürlich stellen: Wie hat sich denn die elektronische Musikszene in den letzten Jahrzehnten Deiner Meinung nach verändert?
René Bourgeois: Es ist schon krass, dass aus diesem anfänglichen Underground-Ding eine Art Weltmusik geworden ist. Und ich habe das praktisch hautnah miterlebt, wie diese Musik über die Jahrzehnte immer größer geworden ist. Wobei ich sagen muss, dass ich diesen übermäßigen Hype auf bestimmte Personen oder Events, der sich hier logischerweise mitentwickelt hat, weniger toll finde. Früher stand die Gemeinschaft mehr im Vordergrund.

Also aus dem Underground ist Mainstream geworden?
René Bourgeois: Ja, wobei man sagen muss, dass Mainstream immer aus dem Underground entsteht. Und umgekehrt ist es das Gleiche: Ein neuer Underground entwickelt sich stets aus dem Mainstream. Ich habe daher die Hoffnung, dass in diesem großen Mainstream der elektronischen Musik Nischen frei werden, in denen neue Musik, also ein neuer Underground entsteht. Darauf bin ich sehr gespannt.

Womit wir beim Abschluss dieses Gesprächs wären: Was entsteht denn bei René Bourgeois in nächster Zeit?
René Bourgeois: Ich muss zugeben, dass ich in der Corona-Zeit produktionstechnisch wenig released habe, da ich befürchtete, dass die Tracks verpuffen. Stell dir vor, du schraubst einen Hit und kannst nicht gebucht werden. Ich habe natürlich Ideen gesammelt und weiterentwickelt. Das Resultat sind eine handvoll cooler Tracks, die auf meinem Rechner liegen und nur darauf warten, veröffentlicht zu werden. Ich bin gerade im Gespräch mit diversen Labels. Des weiteren möchte ich mich noch mehr in die Arbeit meiner geliebten Agentur 3000Grad einbringen. Das ist wie eine Zweit-Familie geworden. Sie waren auch in der Krisenzeit superloyal und mir ist es ein Bedürfnis, da etwas zurückzugeben.

Wie wär’s mit einem Album?
René Bourgeois: Diese Album-Frage bekomme ich seit zehn Jahren gestellt. Ich bin zum einen nicht der Typ, der in ein paar Wochen ein Album runterreißen kann. Ich bin zum anderen aber auch sehr ungeduldig und wenn ich dann mal zwei, drei neue Sachen habe, dann will ich die auf den Punkt präsentieren und sie nicht monatelang liegen lassen, bis ich genug Zeug zusammen habe, um ein Album herauszubringen. Ich verstehe ehrlich gesagt auch nicht, was der Unterschied ist, ob man nun ein Album oder eine Single herausbringt. Denn letztlich läuft es immer darauf hinaus: Mucke ist Mucke!

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Bild-Copyright: Marie Staggat, David Ullrich

Und hier gibt’s nochmal den ersten Teil des großen Interviews mit René Bourgeois