René Bourgeois (Part 1): „Nicht du bist der Star, sondern das Publikum“

René Bourgeois ist schon ganz schön lange ein Teil der elektronischen Musikszene Deutschlands – er hat also die ein oder andere Anekdote in der Hinterhand. Im ersten Teil des großen Interviews mit elektro-chronisten.de erzählt er vom DJing, seiner Art des Produzierens und anarchischen Musiktagen im Berlin der frühen 90er.

Von Sebastian Binder

Wenn man René Bourgeois interviewt, wird schnell klar: Der Junge hat was zu erzählen – und das macht er auch gerne. So wurden aus den vereinbarten 30 Minuten Gespräch plötzlich anderthalb Stunden… die sehr unterhaltsam waren, nur damit keine Missverständnisse aufkommen. Entsprechend lang war der finale Text, weshalb schnell klar war, dass ein Split in zwei Teile keine schlechte Idee ist. Im ersten Part des Interviews gibt René Bourgeois Einblicke in seine Herangehensweise an einen Auftritt, woher er die Inspiration für seine Tracks nimmt und warum er die Loveparade in Berlin gefeiert hat.

Du bist in der fast schon anarchischen Nachwendezeit in Berlin musikalisch sozialisiert worden. Beschreib‘ diese Zeit doch mal ein bisschen.
René Bourgeois: Spektakulär – revolutionär. Das sind die Worte, die mir als erstes dazu in den Sinn schießen. Und auch sehr familiär. Man war Teil einer kleinen Gemeinschaft, bei der man merkte: Hier ist so viel Energie und das macht sehr viel Spaß. Mein Lieblingsclub war Anfang der 90er der Bunker und da gab’s soundtechnisch richtig auf die Mütze. Ich war damals 15 oder 16 Jahre alt, aber meine Mutter ist zum Glück ziemlich tolerant und sagte: René, Du darfst in den Club gehen, solange Du keine Drogen nimmst und mir keine Polizei nach Hause bringst.

Hast Du da auch schon aufgelegt?
René Bourgeois: Ja. Wir waren damals eine Gruppe von 15 bis 20 Leuten und wanderten an den Wochenenden gern durch die Clubs wie das E-Werk, Tresor, Bar25, Casino oder das WM66. Wir haben natürlich auch After Hours gemacht und das am liebsten bei mir zu Hause und da habe ich dann auch aufgelegt und die Leute haben gesagt: Hm, der René kann das eigentlich ganz gut, wollen wir den nicht mal bei uns in der Bar spielen lassen? Und schon hatte ich meine ersten Gigs, beispielsweise im Stellwerk.

Wir gehen darauf gleich noch genauer ein, doch da wir gerade im Berlin Anfang der 90er Jahre waren: Wie hast Du damals eigentlich Sachen wie die Loveparade wahrgenommen?
René Bourgeois: Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir damals bei der dritten Loveparade gesagt, dass wir uns das mal anschauen wollen. Damals haben 6500 Leute am Ku’damm gefeiert, da war die Loveparade nämlich noch dort und nicht auf der Straße des 17. Juni. Und plötzlich stand ich da zwischen 6500 Verrückten, die so waren wie ich. Da habe ich begriffen, dass das nicht nur ein Berliner Ding ist, weil Leute aus Frankfurt, aus Hamburg, aus Köln da waren und mir wurde klar, dass das richtig groß werden könnte. Und zehn Jahre später waren es dann eine Million Leute.

Aber als jemand, der auch schon die Anfänge kannte: Hast Du dieses Massenevent dann nicht als eine Art Ausverkauf wahrgenommen?
René Bourgeois: Nein, als Ausverkauf habe ich das nicht gesehen. Für mich war eher der Gedanke vorherrschend: Mit dieser Musik erreichst du echt viele Leute und – das hört sich jetzt eventuell etwas pathetisch an – Liebe. Die Bilder vom Tiergarten könnte ich stundenlang Revue passieren lassen, denn die Leute hatten alle Spaß und vor allem in der aktuellen pandemischen Zeit vermisst man genau solche Events. Wir reden ja nicht nur von der Parade an sich, danach wurde es erst richtig geil.

Wie meinst Du das?
René Bourgeois: Die ganze Party-Crowd hat sich nach der eigentlichen Parade in der Stadt auf die Clubs verteilt. Die besten DJs der Welt von Carl Cox über Sven Väth bis Richie Hawtin haben hier aufgelegt, in der ganzen Stadt war Party und die Leute hatten ein Lächeln im Gesicht. Und um nochmal auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Für mich war/ist das keine Art von Ausverkauf, sondern eine Form von Lebenskultur.

Kommen wir wieder zurück zu Deiner eigenen DJ-Karriere. Du hattest die ersten Bookings und wie ging es dann weiter?
René Bourgeois: Ich war damals in einem ziemlich kredibilen Dunstkreis unterwegs mit Sascha Braemer, Daniel Steinberg, Alfred Heinrichs, Niconé oder Philip Bader. Wir waren eine Combo, sind von Club zu Club und nach und nach sind alle immer bekannter geworden. Wenn ich heute zurückschaue und überlege, wo wir heute alle stehen, dann muss man schon sagen, dass wir irgendetwas richtig gemacht haben – eben, weil wir schon von Anfang an mit dabei waren. Regional war ich bereits als DJ bekannt, aber der richtige Durchbruch kam tatsächlich erst, als ich meinen ersten Track „4 My Recordz“ veröffentlicht habe. Meine Kumpels haben die Nummer dann gespielt und dadurch avancierte sie zu einem kleinen Club-Hit. Das hat sich selbstverständlich positiv auf meine Bookings ausgewirkt und dann kam der Punkt, an dem mir klar wurde: Mensch, du kannst ja davon sogar leben.

Wie stellst Du Dein Set für einen Auftritt zusammen?
René Bourgeois: Ich habe zunächst immer zwei Medien mit dabei: Früher war es Vinyl und CDs, heute eher CDs und Sticks. Auf den Sticks sind in der Regel die aktuellen Sachen drauf, auf den CDs hingegen befinden sich meine Lieblinge, die ich über die letzten 15 Jahre gesammelt habe – quasi eine Art Rückversicherung. Du weißt ja vorher nicht, wie die Crowd grade drauf ist, wenn du in den Club kommst. Das hängt auch davon ab, wie der DJ vor dir spielt, ob du das Warm-up machst oder der Headliner bist. Ich habe dabei immer die Prämisse: Nicht du bist der Star, sondern das Publikum – die Leute machen die Party.

Aber wie wirkt sich diese Prämisse auf Dein Set aus?
René Bourgeois: Prinzipiell habe ich soundtechnisch schon einen roten Faden und ein paar Tracks, die ich unbedingt spielen will, ich gehe also nicht ganz unvorbereitet in mein Set rein. Es gibt ja auch eine gewisse Erwartungshaltung gegenüber deiner Person, der man natürlich gerecht werden möchte. Irgendwann kommt dann der Moment, da bin ich komplett eingetaucht in die Musik, lass mich vom Publikum treiben und ab da an läuft im optimalen Fall alles innovativ… ach, ich liebe es einfach!

Du hast es vorher schon gesagt, der Durchbruch als DJ kam mit eigenen Produktionen. Wie produzierst Du denn, wie müssen wir uns René Bourgeois im Studio vorstellen?
René Bourgeois: Zunächst, ich habe nicht die Zeit, jeden Tag ins Studio zu gehen, denn ich bin auch Papa, Kameramann und mache gerade noch eine Ausbildung zum Musikpädagogen. Ich versuche es aber zumindest ein bis zweimal pro Woche. Ich bin sehr offen mit meinen Ohren, wenn ich durch die Welt laufe und wenn ich etwas höre, das mich interessiert, nehme ich das sofort mit meinem Handy auf und verarbeite das dann. Ich habe schon eine gewisse Idee, wenn ich ins Studio gehe und baue darauf dann auf. Das Thema steht bei mir also im Vordergrund und darum herum baue ich dann meine Struktur.

Aber war das schon immer so? Beschreibe doch mal Deine „Anfangstage“ als Produzent.
René Bourgeois: Ich habe damals mit Sascha Braemer angefangen zu produzieren und wir haben anfangs mit eJay und Magix rumgespielt und sind dann ziemlich schnell zu Cubase gekommen. Und wir saßen damals stundenlang in Saschas Wohnung und haben gefrickelt. Ich war allerdings zu der Zeit noch nicht an dem Punkt, dass ich gesagt habe: Ich bin Produzent. Für mich war das DJing damals viel stärker im Vordergrund. Sascha ist damals schon drangeblieben und ist daher auch ein exzellenter Produzent geworden. Eine Person darf ich aber in diesem Zusammenhang nicht vergessen: Dan Caster – er war später mein Mentor für Musikproduktionen.

Du kamst ja dann mit „4 My Recordz“ so gegen Ende der Minimal-Phase, wenn man es so nennen will, an den Start.
René Bourgeois: Genau, die Leute fanden das Geklickere damals ziemlich geil, aber es begann langsam die Phase, in der auch housigere Elemente wieder gefragt waren. Daniel Steinberg – mit dem ich übrigens zusammen in die Klasse gegangen bin – war zu der Zeit ein wenig der Vorreiter und hat mich auch inspiriert für meine eigene Musik. Und so ist dann schließlich „4 My Recordz“ entstanden. Das Ding ist dann steil gegangen und dann baust du erst einmal darauf auf, wie z.B. mit „Mama San“ oder „Paris“. Man konnte damals einfach richtig rumspinnen mit seinen Gedanken und das war genau mein Ding.

Im zweiten Teil des großen elektro-chronisten-Interviews erzählt René Bourgeois ein paar Geschichten rund um seine Remixe, wie er die Corona-Zeit erlebt hat und was ihn außer Musik noch so umtreibt.
Hier geht’s zum zweiten Teil des Interviews

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Bild-Copyright: Marie Staggat, David Ullrich

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