Marc DePulse: „Ich produziere wie eine Maschine“

Vom Akkordeon zum Produzieren und an die Decks – Marc DePulse hat eine interessante musikalische Reise hinter sich. Im Interview mit elektro-chronisten.de erzählt er von seiner Vorliebe für USB-Sticks, seiner Abneigung gegen das Reisen und warum er auch während Corona keine Motivationsprobleme hatte.

Von Sebastian Binder

Interviews mit Musikern sind immer ein Drahtseilakt. Manchmal passiert es, dass der Gesprächspartner nichts zu sagen hat und man als Journalist anschließend denkt: Was zur Hölle soll ich jetzt eigentlich schreiben? Bei Marc DePulse ist das zum Glück nicht der Fall. Ganz im Gegenteil, der Leipziger hatte sogar immer wieder Antworten parat, die definitiv vom Standardprotokoll abweichen und bei denen man sich auch als Fragensteller, der sich in seiner Laufbahn schon mit ein paar Leuten aus der Branche unterhalten hat, denkt: Hm, eigentlich eine interessante Perspektive, die er da hat. Aber lest einfach selbst:

Was war denn Dein erster Kontakt mit Musik?
Marc DePulse: Meine Eltern waren der Ansicht, dass ich etwas Vernünftiges machen sollte, daher war ihre Ansage: Du lernst jetzt Akkordeon, Junge! Und ich nur so: Neeeiiin! Für einen jungen Kerl war das natürlich nicht das Traum-Instrument. Dann habe ich sogar noch im Schulchor gesungen und obwohl ich bis heute nicht singen kann, habe ich da sehr viel gelernt. Später konnte ich aber bei meiner eigenen Musik auf diese Erfahrungen zurückgreifen.

Wann bist Du auf die Idee gekommen, selbst Musik zu produzieren?
Marc DePulse: 1999 hat mich ein Schulfreund drauf gebracht und ich habe mit dem damals noch MS-Dos basierten Impulse Tracker angefangen zu produzieren – daher auch das „Pulse“ in meinem Namen. Ich hatte zu der Zeit auch keine Maus, musste also alle Befehle über Tastatur eingeben, was schon herausfordernd war.

Hast Du da auch schon aufgelegt?
Marc DePulse: Nein, mit dem Auflegen habe ich erst 2002 wirklich angefangen. Mein erster „Gig“ war an einem Badesee, an dem wir eigentlich nur eine kleine Session für ein paar Freunde machen wollten, bei der wir unsere Musik spielen. Allerdings war an dem Tag schönes Wetter und plötzlich waren bei der kleinen Session 400 Leute, was ziemlich abgefahren war.

Du hast mit Vinyl angefangen, aber legst wie die meisten heute mit USB-Sticks auf. Vermisst Du die „guten, alten Vinyl-Zeiten“ nicht?
Marc DePulse: Eigentlich nicht, denn ich lege wirklich gerne mit Sticks auf. Mal abgesehen davon, dass Vinyl zum Reisen ziemlich unpraktisch ist – vom nicht angekommenen Koffer bis zum nervenden Rumgeschleppe – sind die technischen Möglichkeiten, die man heute beim Auflegen hat, einfach großartig. Du kannst dich heute viel stärker auf die Crowd fokussieren, hast eine viel größere Trackvielfalt und durch das einfachere Mixing eben auch mehr Zeit für die Auswahl der Lieder, was ich persönlich essentiell finde.

Wie stellst Du denn ein Set zusammen bzw. wie bereitest Du einen Auftritt vor?
Marc DePulse: Es kommt tatsächlich vor, dass ich hin und wieder Playlists schreibe mit Tracks, die ich spielen will. Denn ich finde es einfach geil, die eigenen Lieblingstracks mal richtig laut zu hören. Es ist dabei nicht so, dass ich überwiegend meine eigenen Sachen spiele. Ich hatte auch schon Sets, in denen kein einziger Track von mir war, an einem anderen Tag feiere ich dann wieder 80 Prozent eigene Produktionen ab. Das hängt von meiner Laune ab, ich spiele das, worauf ich gerade Lust habe.

Du hast schon sehr viel im Ausland gespielt. Was überwiegt dabei für Dich: Der Stress oder doch die Lust auf Abenteuer?
Marc DePulse: Das Reisen geht mir tierisch auf die Nerven, insbesondere wenn es weiter weg geht, was unter anderem damit zusammenhängt, dass ich ungern fliege. Dann bist du alleine unterwegs, kennst in der Regel niemanden, was natürlich auf der einen Seite dieses Abenteuer-Ding ist. Doch ab einem gewissen Alter hat man eben keinen Bock mehr auf Abenteuer. Zug fahr‘ ich hingegen ganz gerne und von meiner Heimatstadt Leipzig kommt man eigentlich relativ schnell in jede Ecke des Landes.

Kommen wir mal auf Deine Musik zu sprechen. Ist Dein Studio eigentlich bei Dir zuhause?
Marc DePulse: Ich bin tatsächlich schon immer Heimscheißer (lacht). Ich habe hier in meiner Wohnung ein eigenes gedämmtes Zimmer, das prädestiniert war als Studio, und das ich dann selbst entsprechend ausgebaut habe. Diese Art von Home Office ist auch entspannt. Ich bringe am Morgen meine Tochter in den Kindergarten und ehe ich sie am Nachmittag wieder abhole, habe ich sieben Stunden Zeit, in denen ich produzieren kann. Ich arbeite viel mit Kopfhörern, also es ist jetzt nicht so, dass hier den ganzen Tag Musik in Discolautstärke läuft. Wenn du meine Nachbarn fragst, die wissen wahrscheinlich nicht mal, dass ich zuhause arbeite.

Du produzierst jetzt seit rund 20 Jahren, wie hat sich Dein Sound entwickelt?
Marc DePulse: Ich habe mich in gewisser Weise schon immer ein bisschen daran orientiert, was der Markt hergibt. Am Anfang habe ich viel in der Trance-Richtung gemacht, über die Jahre ist mein Sound dann etwas langsamer geworden, was vielleicht auch mit dem Alter zusammenhängt (lacht). Dann war ich wieder mehr in der Techno-Schiene unterwegs, als die noch gar nicht so angesagt war. Danach kam Melodic House, was mich aber irgendwann gelangweilt hat, weil alles gleich klang. Momentan habe ich wieder mehr von diesem 80er-Style am Start, kann jedoch sein, dass das in zwei Jahren ebenfalls anders ist. Was über die Jahre gleich geblieben ist: Mein Sound hat immer etwas Mystisches und Melancholisches, zudem hat sich die Geschwindigkeit mittlerweile bei 120 bis 124 BPM eingependelt.

Wie gut kannst Du Deine eigene Musik beim Produzieren einschätzen? Merkst Du im Laufe des Prozesses schon: Wow, das ist richtig gut, das wird ein Hit?
Marc DePulse: Du gehst natürlich immer mit dem Anspruch ran, den nächsten Welthit zu schreiben. Meistens merkst du dann ziemlich schnell: Ok, vielleicht wird die Nummer das doch nicht. Tatsächlich kann ich das meistens schlecht einschätzen, wie die Titel letzten Endes bei den Leuten ankommen werden. Allerdings hatte ich letztes Jahr einen Track, von dem ich sofort sicher war, dass er etwas taugt. Den habe ich dann zu Solomuns Label Diynamic geschickt – übrigens das erste Mal, dass ich da etwas hingeschickt hatte. Und dann siehst du auf einmal irgendwelche Videos, wie Solomun deine Nummer spielt und denkst dir: What the fuck, wie geil! Aber wie gesagt, das ist eher die Ausnahme.

Man hört, Du arbeitest an einem Collaboration-Album.
Marc DePulse: Das stimmt. Es wird „Together Alone“ heißen und nächstes Jahr auf Katermukke erscheinen. Es wird ausschließlich Kollabos mit anderen Künstlern enthalten. Es werden zwischen zehn und fünfzehn Tracks drauf sein, das hängt davon ab, ob alle angefragten Künstler Zeit haben bzw. ob die Zusammenarbeit funktioniert. Durch Corona wurde dieser Kollabo-Gedanke bei mir noch verstärkt, einfach schon aus dem Grund, um mit den Kollegen mal wieder zu interagieren.

Wie ist es beim Remixen? Was ist Deine Herangehensweise?
Marc DePulse: Entweder ich mache das Original besser oder ich bastle einen Kontrast, das sind eigentlich die beiden Möglichkeiten. Grundsätzlich brauche ich eine Idee, also mindestens ein Element, auf dem ich aufbauen kann, ob das nun eine Melodie oder ein Vocal ist. Man muss generell aber festhalten, dass ein Remix in gewisser Weise eine Dienstleistung ist, bei der du zwar deinen Brand installieren kannst, doch wirklich kreativ austoben kann man sich nur bei eigenen Sachen.

Du bist auch als Ghostproducer aktiv. Wie muss man sich diese Arbeit vorstellen?
Marc DePulse: Man wird von Leuten angefragt, die eine gewisse Vorstellung haben, wie der Track am Ende klingen soll. Die Leute kommen mit einem Querschnitt von fünf bis zehn Sachen an, die sie gerade gut finden und du destillierst daraus dann einen neuen Track. Dann tauscht man sich aus, mal direkt im Studio, mal telefonisch und in der Regel gibt es dann eine Art „Daumen hoch, Daumen runter“-Feedback. Du bekommst dafür entweder einen Fixbetrag oder wirst an den Einnahmen beteiligt, aber dein Name findet in der Regel keine Erwähnung. Ich finde das prinzipiell ganz schön, weil du dadurch in anderen Genres produzieren kannst und einen Blick über den Tellerrand wirfst, deinen Horizont also erweiterst.

Viele Produzenten hatten während der Corona-Hochphase mit Motivationsproblemen beim Musikmachen zu kämpfen, insbesondere deshalb, weil sie ihre Sachen nicht vor Publikum spielen konnten. Bei Dir scheint das aber nicht der Fall gewesen zu sein.
Marc DePulse: Ich kann das verstehen, denn natürlich ist es großartig, seine Musik vor Publikum zu spielen. Bei meinem ersten Auftritt im Birgit & Bier im Juni haben ich sehr viele eigene Sachen gespielt, die ich in der Corona-Zeit produziert habe, und es war toll, sie mal richtig laut zu hören. Auf der anderen Seite produziere ich aber genauso Musik für die Leute zuhause, was ich beispielsweise daran sehe, dass sich meine Spotify-Plays im letzten Jahr verdoppelt haben. Also nein, Motivationsprobleme hatte ich nicht, ganz im Gegenteil, ich habe produziert wie eine Maschine (lacht).

Wie war die Corona-Zeit generell für Dich?
Marc DePulse: Wie gesagt, ich hatte letztes Jahr im Februar die Nummer bei Diynamic, die richtig schnell steil gegangen ist. Und dadurch hatte ich Booking-Anfragen von Mexiko bis Australien, die ich schon angenommen hatte… und plötzlich war alles gecanceld. Doch Corona hatte für mich auch etwas Gutes, denn jetzt hatte ich die Möglichkeit, meine Tochter aufwachsen zu sehen, was in dem Umfang sicher nicht möglich gewesen wäre, wenn ich ständig auf Tour gewesen wäre. Zudem habe ich die Möglichkeit genutzt, um meine Einnahmen, die früher zu einem großen Teil vom Auflegen kamen, stärker auf die Produzenten-Seite zu fokussieren.

Denkst Du, dass sich die Corona-Phase auch längerfristig auf die Szene auswirken wird?
Marc DePulse: Ich denke, dass viele daran zu knabbern haben werden. Viele DJs werden vermutlich auch bereit sein, für weniger zu spielen. Momentan ist das meines Wissens nach gang und gäbe, weil es vielen zunächst darum geht, überhaupt mal wieder spielen zu können. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es sollte nicht in erster Linie ums Geld gehen. Ich mache das jetzt seit 20 Jahren und für mich stand immer der Spaß im Vordergrund.

Womit wir beim nächsten Stichwort wären: Du bist seit 20 Jahren dabei, was hat sich in der elektronischen Musikwelt Deutschlands in dieser Zeit alles gedreht?
Marc DePulse: Eine Menge. Es gibt beispielsweise so viele Festivals wie noch nie zuvor, als ich angefangen habe, konnte man die noch an einer Hand abzählen. Zudem existiert mittlerweile eine andere Ausgehkultur und das meine ich jetzt nicht nur wegen Corona. Ich habe in den letzten Jahren so viele Tages-Playtimes gehabt wie noch nie, was für mich ein Zeichen ist, dass diese Musikkultur heute breiter aufgestellt ist. Musikalisch sind eben immer wieder Trends zu beobachten: Mal ist es Disco, dann wieder House, derzeit verstärkt Techno. Und das wird sich in den nächsten Jahren wieder drehen, aber ich hoffe einfach, dass elektronische Musik ein Teil der Jugendkultur bleiben wird. Generell kann man sagen, dass es in der Szene weiterhin ein Zusammengehörigkeitsgefühl gibt. Die Leute, die seit 15 Jahren dabei sind, die sind in der Regel auch heute noch dabei und die Wege kreuzen sich im Lauf der Zeit immer mal wieder, was einfach schön ist.

Und was hat sich konkret für die Produzenten verändert?
Marc DePulse: Die Frequenz. Früher hattest du im Prinzip mit einem Release im halben Jahr ausgedient. Heute musst du praktisch alle drei, vier Wochen etwas Neues nachlegen, damit du nicht in Vergessenheit gerätst, um es mal überspitzt auszudrücken. Mir wurde mal gesagt: Marc, jeden Monat ein Release. Was die heutige Schnelllebigkeit ganz gut ausdrückt. Das muss man wollen, aber darauf muss man sich eben auch einlassen, denn das ist die Realität.

Womit wir schon bei der Abschlussfrage wären: Was hast Du denn außer Deinem Kollabo-Album noch in der Pipeline?
Marc DePulse: Zunächst wird es einen Remix von mir für Dirk Sid Eno geben. Dann habe ich eine Nummer mit Rafael Cerato gemacht, die im Dezember auf Parquet herauskommt. Was ganz witzig ist, denn schon im letzten Dezember haben Rafael und ich dort den Track „Capulet“ veröffentlicht, der sehr gut angekommen ist. Dann wahrscheinlich noch ein paar Remixe, aber ansonsten liegt der Fokus auf dem Album für nächstes Jahr.

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