Ron Flatter: „Musik ohne Fantasie funktioniert nicht“

Kaum ein deutscher Produzent hat derzeit so viel Output wie Ron Flatter. Höchste Zeit also, den Hallenser mal im Interview genauer unter die Lupe zu nehmen. Gegenüber elektro-chronisten.de erzählt er von den Anfängen seiner DJ-Karriere, warum konkrete Ideen für ihn beim Musikmachen nicht funktionieren und was er mit Obelix gemeinsam hat.

Von Sebastian Binder

Ich gehöre zugegebenermaßen zu den Menschen, die sich auf der Suche nach neuer Musik gerne mal vom „Mix der Woche“ und dem „Release Radar“ auf Spotify inspirieren lassen. In den letzten Monaten hatte ich gefühlt jede Woche einen neuen Track von Ron Flatter in diesen Playlists, was in mir den Entschluss reifen ließ, mal nachzufragen, wo diese Flut an guter Musik eigentlich ihren Ursprung hat:

Hat sich Deine DJ-Karriere eigentlich schon früh abgezeichnet?
Ron Flatter: Nun ja, als ich ein Kind war, hatte mein Vater einen Plattenspieler und Scheiben von Modern Talking, Jean Michel Jarre oder Mike Oldfield. Ich habe das auch gehört und irgendwann angefangen, die Platten zu scratchen, was meinen Vater damals nicht ausschließlich erfreut hat (lacht). Später als Skater habe ich dann Beastie Boys und andere Sachen gehört, die einen elektronischen Touch hatten, also es hatte sich schon abgezeichnet, dass es in diese Richtung gehen könnte.

Aber wann hast Du den tatsächlichen Entschluss gefasst, dass Du ernsthaft in die elektronische Richtung, wenn wir es mal so nennen wollen, gehen willst?
Ron Flatter: So mit ungefähr 20. Ich war damals praktisch auf jeder Technoparty in Halle a.d. Saale und irgendwann dachte ich mir: Das, was der Typ da vorne an den Turntables macht, das will ich auch machen. Ich habe mir dann einen riemenangetriebenen Plattenspieler geholt und wollte auflegen – was natürlich nicht funktioniert hat, weil ständig der Riemen rausgesprungen ist. Und ich dachte mir nur: Oh Gott, was ist denn hier los? Glücklicherweise habe ich dann durch meinen kleinen Bruder Leute kennengelernt, die bereits auflegten, und erst da habe ich das Handwerk wirklich gelernt. Dann habe ich auf ersten Privatpartys aufgelegt, nicht unbedingt, weil ich die saubersten Übergänge hatte, sondern weil ich schon immer eine Musikauswahl am Start hatte, die bei den Leuten gut angekommen ist.

Wo hattest Du Deinen ersten professionellen Auftritt?
Ron Flatter: Ich wurde für einen Gig im Turm, eine beliebte Partylocation in Halle, gebucht. Ich hatte damals noch kein richtiges Equipment, unter anderem keine echten DJ-Kopfhörer. Ich stand also da oben an der Kanzel und habe nichts gehört. Im Endeffekt habe ich nur die Platten aneinandergereiht, doch das Publikum ist trotzdem ausgerastet und hat getanzt. Ich habe bis heute keine Ahnung, wie ich das hinbekommen habe. Aber ab diesem Zeitpunkt ging es immer weiter, ich habe die richtigen Leute kennengelernt und immer mehr gespielt.

Mittlerweile hast Du ja schon mehr Routine und auch besseres Equipment. Bereitest Du einen Auftritt überhaupt noch vor?
Ron Flatter: In der Regel bereite ich die ersten ein, zwei Lieder vor. Danach lasse ich mich einfach leiten. Ich hatte auch zuletzt ein Set im Ritter Butzke, das über 5 Stunden ging, und so etwas kann man gar nicht vorbereiten, da muss man einfach sehen, was passiert und wie sich das Ganze entwickelt. Ich spiele relativ viel von meinen eigenen Sachen, in der Regel habe ich eine Trackmischung von 50 zu 50. Ich will natürlich auch sehen, welche Tracks von mir funktionieren. Und es geht noch um etwas anderes in meinen Augen: Wenn ich meine Sachen nicht spielen würde, wäre ich auch nicht von ihnen überzeugt und das wäre selbstverständlich ein schlechtes Zeichen.

Wie wichtig ist es, als DJ authentisch zu sein?
Ron Flatter: Sehr wichtig. Natürlich musst du die Reaktion des Publikums im Blick haben und reagieren, wenn etwas nicht funktioniert. Aber du darfst dich dabei auf keinen Fall verbiegen, denn sonst kaufen dir die Leute das nicht mehr ab, was du an den Decks machst. Wenn du auf einmal anfängst, zum Beispiel zwischen den Musikrichtungen hin und her zu schwenken, dann machst du dich nicht nur selbst verrückt, sondern hast am Ende auch das Publikum nicht überzeugt.

Wenn Du Dich für eine Sache entscheiden müsstest: Würdest Du lieber produzieren oder lieber auflegen?
Ron Flatter: Puh, das ist wirklich eine schwierige Frage. Auf der einen Seite: Dadurch, dass wir wegen Corona jetzt so lange nicht spielen konnten, war das Produzieren im Studio sehr wichtig für mich, um den Kontakt zu den Leuten draußen nicht komplett zu verlieren. Aber das ist eben auf der anderen Seite wieder das Schöne am DJing: Der Kontakt zu den Leuten. Im Moment kann ich mich da wirklich nicht entscheiden.

Gehen wir mal von der Bühne ins Studio: Fängst Du immer mit einer konkreten Idee zu produzieren an?
Ron Flatter: Eine konkrete Idee habe ich eigentlich nie, wenn ich ins Studio gehe, denn ich habe festgestellt, dass alles, was ich mir vornehme, nicht funktioniert. Ich habe mir alles selbst beigebracht und daher lasse ich mich immer leiten. Ich fange entweder mit den Drums, der Melodie oder Bassline an und manchmal reicht ein Funken wie eine einzelne Hihat und es läuft. In der Regel habe ich die Sachen dann in zwei bis drei Tagen fertig, denn ich bin nicht der Typ, der ein paar Wochen an einem Projekt sitzt, das langweilt mich irgendwann. Das macht so ein bisschen das Harte in meinen Tracks aus, dass ich eben nicht immer alles zu 100 Prozent ausfeile. Wenn ich der Meinung bin, die Nummer ist fertig, dann ist sie fertig und dann will ich da auch nicht nochmal eingreifen.

Du hast zuletzt sehr viel produziert. Ist das heute auch wegen der durch die Digitalisierung verursachten Schnelllebigkeit notwendig?
Ron Flatter: Wenn man ehrlich ist, hören es die meisten Konsumenten nicht, ob jemand einen Tag oder ein halbes Jahr an einem Track geschraubt hat. Durch die Masse an Musik, die heute veröffentlicht wird, ist der eine Track genauso schnell durch wie der andere. Ich persönlich bin von dieser Schnelllebigkeit manchmal ein bisschen überfordert, doch im Moment habe ich so viel Output, dass ich immer reagieren kann, zumal ich mit Pour La Vie ein eigenes Label habe. Wenn ich also zwei Nummern zusammen habe, kann ich entscheiden, wann sie herauskommen und kann auch jederzeit eingreifen, was ein großer Vorteil der Digitalisierung ist. Der Nachteil ist, dass durch die schiere Masse vieles verloren geht, wobei sich meiner Meinung nach eines nicht geändert hat: Qualität setzt sich durch.

Mit welchen Programmen produzierst Du?
Ron Flatter: Mit Ableton und FL Studio. Viele haben früher immer über FL Studio gelacht, aber das Programm ist mittlerweile so groß, dass es locker mit anderer Software mithalten kann. Im Endeffekt ist es mir auch egal, womit der Track produziert ist, das kann auch der Magix Music Maker sein. Wenn die Nummer gut ist, ist sie gut, fertig.

So sieht’s aus. Dann beschreib‘ doch mal den typischen Ron-Flatter-Sound.
Ron Flatter: Mein Sound ist auf jeden Fall energisch, melodiös, verträumt und melancholisch, was irgendwie auch meine Persönlichkeit widerspiegelt. Ich bin ein ziemlich fantasievoller Mensch und ich glaube, Musik ohne Fantasie funktioniert nicht. Als Kind bin ich wohl in den Fantasietopf gefallen, also eine Art Obelix für die Musik (lacht). Aber im Ernst: Über die Jahre ist mein Sound natürlich qualitativ hochwertiger, geschmeidiger geworden. Ich weiß mittlerweile auch besser, wo ich ansetzen kann, um gewisse Stimmungen zu erzeugen. Am Ende brauche ich immer ein Erlebnis in meinem Sound, es muss etwas passieren, ich muss aus dem Sound etwas mitnehmen.

Kommen wir mal zum Remixen. Lehnst Du viele Anfragen ab?
Ron Flatter: Wenn ich beim Original feststelle, dass ich da nichts rausnehmen kann, dann lehne ich die Anfrage ab. Denn das wird schnell zu einer Quälerei und man macht den Leuten falsche Hoffnungen, was keinem etwas bringt. Manchmal bin ich aber am Anfang geteilter Meinung, dann starte ich zumindest einen Versuch, verspreche aber nichts. Und dann gibt es die Fälle, wo mir sofort Sachen wie die Bassline oder die Synthie-Spur gefallen und ich weiß, dass ich damit etwas anfangen kann.

Wie gehst Du dann in diesen Fällen weiter vor? Eher behutsam oder drückst Du dem Original gut hörbar Deinen Ron-Flatter-Stempel auf?
Ron Flatter: Das ist ein ganz geiles Stichwort. Ich hatte vor einer Weile mal einen Remix abgegeben und als Feedback kam: ‚Naja, das ist jetzt nicht ganz das, was wir erwartet haben. Wo ist denn die Ron-Flatter-Melodie?‘ Und ich dachte nur so: Wenn es nicht reinpasst, passt es nicht rein, ich kann das doch nicht erzwingen. Manchmal schreiben dir die Leute sogar gleich dazu, dass sie wollen, dass es sich wie dein Track XY anhört, was natürlich ebenfalls nicht funktioniert. Letztlich schaue ich, was mir aus dem Original gefällt, sei es nun ein Vocal, Effekte usw. und baue drum herum dann einen Remix.

Wie bist Du durch die Corona-Phase gekommen?
Ron Flatter: Wie bei den meisten Leuten aus der Szene wurde auch mein Kalender ab März 2020 erst einmal komplett durchgecanceld. Ich habe dann mit vielen Kollegen geredet und jeder dachte am Anfang: Das dauert jetzt zwei, drei Monate und dann geht es wieder weiter. Als dann absehbar war, dass das nicht der Fall ist, dachte man schon erstmal: Puh, was ist hier eigentlich los? Ich habe mich dann tagsüber um meinen kleinen Sohn gekümmert, habe zum Beispiel mit ihm die Eingewöhnung im Kindergarten gemacht, da meine Freundin tagsüber arbeiten war. Und abends hatte ich dann zwei, drei Stunden Zeit, um zu produzieren. Ich habe in dieser Zeit gelernt, effektiver zu arbeiten, denn wenn man nur ein kleines Zeitfenster hat, dann muss man eben schauen, dass man in diesem Rahmen möglichst viel hinbekommt. Zusammengefasst war es natürlich kacke für uns alle, doch ich habe die Hoffnung, dass wir gestärkt aus dieser Sache herauskommen.

Bei vielen Künstlern kam es durch dieses erzwungene Innehalten zu einer Art Selbstreinigungseffekt. Wie war das bei Dir?
Ron Flatter: Das kann man schon so sagen. Vorher war es bei mir so, dass ich immer darauf geachtet habe, dass mein Kalender möglichst voll ist, dass das nach außen alles einen guten Eindruck macht. Heute sehe ich das etwas anders, denn eigentlich ist das alles gar nicht wichtig. Ich bin definitiv entspannter geworden, nehme nicht mehr alles an und schaue auch nicht mehr ständig, was die anderen so machen, sondern versuche, mich mehr auf mich zu konzentrieren.

Wenn Du von außen auf das „Elektroland Deutschland“ schaust, wie würdest Du seine Entwicklung in den letzten Jahrzehnten beschreiben?
Ron Flatter: Ein bisschen wie den Aktienkurs, es geht mal hoch, mal runter. In meiner Anfangszeit gab es entweder House oder Techno, also hartes Getrommel oder Melodiöses mit Vocals, dazwischen war nicht viel. Über die Jahre wurde die Bandbreite aber erweitert und ich finde, das merkt man heute auch bei Gigs. Das Publikum und die Veranstalter sind hier, wie soll man sagen, verständnisvoller geworden, denn die Künstler, die an einem Abend auflegen, decken ein sehr viel größeres musikalisches Spektrum ab. Durch die Pandemie gab es jetzt vielleicht einen kleinen Dämpfer, jedoch denke ich, dass sich elektronische Musik nicht aufhalten lassen wird.

Wo wird die Reise Deiner Meinung nach hingehen?
Ron Flatter: Schwer zu sagen. Ich hoffe einfach, dass jeder in seinem Geschmack bedient wird und Spaß hat. Wie das dann genau aussieht und was die neuen Trends sind, das ist mir ehrlich gesagt völlig egal.

Auf welche neuen Trendsetter dürfen sich denn dann Deine Fans freuen?
Ron Flatter: Vor kurzem ist eine EP mit den Tracks „Franny“ und „Disco21“ auf meinem eigenen Label erschienen. Außerdem ist jetzt die EP „Smiling Birds“ auf 3000Grad rausgekommen. Im November steht dann wieder auf Pour La Vie eine neue Scheibe in den Startlöchern, die „Filybeck“ heißen wird, und im Dezember kommt dann noch etwas auf Poesie Musik. Im nächsten Jahr muss ich mal schauen, wo die Reise hingeht, es wird definitiv Neuigkeiten geben.

Bei dem Output, den Du zuletzt hattest: Warum nicht mal ein Album?
Ron Flatter: Stimmt schon, ich hätte zuletzt genug Material für zwei Alben gehabt. Ich war aber unschlüssig, ob es funktioniert, wenn ich alle Tracks auf einmal raushaue oder ob es besser ist, sie einzeln zu verteilen. Ich habe weiterhin genügend neues Zeug und es kommt ja immer mehr dazu, aber momentan bin ich noch am Nachdenken, ob ein Album Sinn macht. Dazu kann ich dann nächstes Jahr mehr sagen. So viel sei verraten: Es wird auf jeden Fall ein drittes Album geben, allerdings weiß ich noch nicht, wann es so weit sein wird.

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