Johannes Brecht: „Im Elektro herrscht eine große Freiheit“

Johannes Brecht ist eigentlich in der Klassik und im Jazz verwurzelt. Im Interview mit elektro-chronisten.de erzählt er, wie er zur elektronischen Musik gekommen ist, warum sein Sound ziemlich aufwändig produziert ist und welche Tücken ein Live-Set haben kann.

Von Sebastian Binder

Die elektronische Musikszene in Deutschland ist weitestgehend von Autodidakten geprägt, was ihr vielleicht nach all den Jahren trotzdem immer noch eine gewisse Frische verleiht. Auf der anderen Seite ist aber auch mal ganz spannend, wenn sich ein studierter Musiker in den elektronischen Kosmos vorwagt. Und hört man Johannes Brecht zu, dann versteht man schnell, wo die Unterschiede liegen, insbesondere was die Produktion angeht – und warum es auch für einen ausgebildeten Musiker wie ihn trotzdem immer neue Herausforderungen im Elektro gibt:

Du kommst eigentlich aus der klassischen Musik bzw. aus der Jazz-Ecke. Wie hast Du die elektronische Musik für Dich entdeckt?
Johannes Brecht: Ich habe in der ersten Klasse Klavier angefangen, später kam der Kontrabass dazu und ich habe tatsächlich Jazz studiert, aber ich habe genauso elektronische Musik schon immer gefeiert. Durch ein Klassikprojekt in Stuttgart habe ich Hendrik Schwarz kennengelernt, dessen House-Tracks ich damals für ein Kammerorchester adaptiert habe. Wir haben in der Folge viel zusammengearbeitet und er hat dann die erste Elektro-Platte von mir veröffentlicht.

Ist es nicht so, dass elektronische Musik verglichen mit Jazz oder Klassik sehr viel weniger komplex ist und sie daher für einen Profimusiker wie Dich, wie soll man sagen, fast etwas langweilig ist?
Johannes Brecht: Nein, das ist definitiv nicht der Fall. Zunächst herrscht für mich im Elektro eine sehr viel größere Freiheit, weil es einfach individueller zugeht und man einen Track komplett allein arrangieren kann. Dadurch, dass viele Leute aus der Szene Autodidakten sind, kommt oftmals eine große Leichtigkeit im Sound zustande. Für mich als jemanden, der relativ genau weiß, was er tut, ist es gar nicht so einfach, diese Lockerheit zu finden. Doch das macht es für mich dann auf der anderen Seite wieder spannend.

Wie geht ein Profimusiker wie Du an einen neuen Track ran?
Johannes Brecht: Es passiert viel über Improvisation. Ich sitze am Klavier und dann entwickelt sich irgendwann eine Melodie oder Harmoniefolge. Es kann auch sein, dass ich eine neue Drummachine oder einen Synthie habe, womit ich dann herumexperimentiere. Meine Inspiration kommt dabei aus den verschiedensten Richtungen, zum Beispiel wenn ich durch die Stadt laufe und beiläufig irgendwelche Rhythmen höre. Oder wenn man im Club spielt und sich die anderen Künstler ansieht, dann kommt es gelegentlich ebenso vor, dass man etwas hört, was einen interessiert.

Du bist also inspiriert und hast eine Melodie, wie geht es dann weiter?
Johannes Brecht: Ich liebe es, Sachen ganz oldschool-mäßig aufzunehmen. Ich nehme die meisten Spuren mit Live-Instrumenten auf, spiele also die Melodie live ein und wenn es nicht gut genug ist, nehme ich es nochmal auf und nochmal und nochmal…

Moment, Du spielst alle Instrumente selbst?
Johannes Brecht: Ich versuche tatsächlich, alle Instrumente bei meinen Tracks selbst zu spielen. Ich habe mir ein wenig Schlagzeug und Gitarre beigebracht, durch meine Ausbildung kann ich Klavier und Bass, sodass dann relativ viel abgedeckt ist. Die Tracks sind also größtenteils analog aufgenommen.

Das klingt relativ aufwändig. Wie lange brauchst Du denn, bis Du eine Nummer fertig hast?
Johannes Brecht: Ich brauche in der Tat relativ lange. Ich benutze praktisch keinerlei vorgefertigte Loops, was es eben aufwändiger macht. Der Prozess ist dabei ziemlich unterschiedlich, manchmal sitze ich Monate an einem Titel, manchmal auch nur drei Tage.

Kommen wir mal auf Dein aktuelles Release zu sprechen. Bei Diynamic ist „Pictures: Johannes Brecht“ mit sechs Tracks erschienen. In welchem Zeitraum sind die entstanden und was ist der Hintergrund der Scheibe?
Johannes Brecht: Der erste ist schon 2015, der letzte Track vor ungefähr einem Jahr entstanden. Es geht darum, eine gewisse Bandbreite des eigenen Schaffens zu zeigen, was mit sechs Titeln natürlich besser funktioniert als mit einer typischen EP. Man hat ihr ein breiteres Spektrum des Künstlers zur Verfügung, sodass die Hörerinnen und Hörer einen guten Eindruck vom musikalischen Kosmos des Artists vermittelt bekommen.

Dann gibt uns doch mal mit Worten einen Eindruck: Was macht Deinen Sound aus?
Johannes Brecht: Auf eine Bezeichnung heruntergebrochen: Elektro-akustisch, also diese Mischung aus elektronischen Elementen verbunden mit vielen akustischen Einflüssen ist definitiv charakteristisch für meinen Sound. Ich sehe mich dabei nicht in irgendeiner Schublade, sondern mache einfach irgendwas und vielleicht kann man dann im Nachhinein bestimmen, was es genau ist.

Wie hat sich Dein Sound über die Jahre entwickelt?
Johannes Brecht: Früher war er vielleicht etwas experimenteller, wilder, heute ist er womöglich geordneter. Das liegt auch daran, dass ich heute besser weiß, was Sound alles sein kann. Wobei… vielleicht bin ich gerade wieder auf dem Weg in die entgegengesetzte Richtung (lacht).

Du spielst ausschließlich live. Wie bist Du auf der Bühne ausgestattet?
Johannes Brecht: Ich benutze einen Midi Fighter Twister als Controller, mit dem ich dann die Software von Ableton steuere. Ich habe mir hier mit Max for Live eine eigene Umgebung gebaut, wo sich meine Tracks befinden. Dort gibt es einzelne Gruppenspuren, also Schlagzeug, Bass, Gesang, Synthies usw., mit denen ich dann live das Arrangement baue. Dadurch bin ich relativ flexibel und kann das alles zur Situation passend sehr spontan gestalten.

Bereitest Du Dein Set überhaupt vor?
Johannes Brecht: Eigentlich nicht. Ich riskiere dadurch schon immer ziemlich viel, aber es macht einfach viel mehr Spaß, wenn man sich vom Momentum treiben lässt und schaut, was passiert. Man muss sich aber gleichzeitig sehr konzentrieren, sodass die optimale Dauer für ein Set von mir nur rund eine Stunde oder eine Stunde zwanzig Minuten beträgt.

Hat es Dich nie gereizt, einfach mal „nur“ aufzulegen und ein klassisches DJ-Set zu spielen?
Johannes Brecht: Nein. Es hat natürlich seine Vorteile, wenn man in gewissen Momenten auf einen Clubbanger als Backup zurückgreifen kann. Doch für mich ist es herausfordernder und spannender, die eigene Musik so aufzubauen, dass diese Energie auch beim Publikum ankommt.

Bei einem Live-Set ist man sehr viel abhängiger von seinem eigenen Equipment. Warst Du schon mal in der Situation, in der die Technik versagt hat?
Johannes Brecht: Das hatte ich schon und es war der Horror. Ich habe beim Kappa FuturFestival in Italien gespielt und es war ein richtig heißer Tag. Damals hatte ich noch ein älteres MacBook, bei dem die Lüfter nicht richtig funktionierten. Der Computer stand in der prallen Sonne und überhitzte, ich konnte plötzlich nichts mehr bedienen. Zum Glück hatte ich einen Loop laufen, der einfach weiterging. Dann wurden schnell Lüfter und Sonnenabdeckungen auf die Bühne geschafft und wir warteten, bis der Rechner runtergekühlt war. Irgendwann konnte ich ganz langsam wieder die Maus bewegen und es ging einigermaßen. Aber wie gesagt: Das war der blanke Horror.

Reizt es einen jemanden wie Dich nicht, auch mal Instrumente auf der Bühne zu spielen?
Johannes Brecht: Natürlich. Das habe ich auch schon gemacht, aber es ist halt ein Riesenaufwand. Die meisten Locations sind platzmäßig in der Regel nicht darauf vorbereitet, ein Keyboard oder andere Instrumente aufzubauen. Allerdings bin ich jetzt gerade dabei, mit zwei Kollegen ein neues Projekt zu starten, mit dem wir dann live mit Instrumenten spielen wollen.

Du hast schon sehr viel im Ausland gespielt. Macht Dir das Reisen Spaß oder ist es doch eher Stress?
Johannes Brecht: Ich kann es nicht zu lange und nicht zu oft machen, aber mit gewissen Pausen macht es schon sehr viel Spaß. Man nimmt aus Ländern, in denen man vorher noch nicht war, immer neue Vibes mit. Mein bisheriges Highlight war Japan, da die Leute dort sehr gewissenhaft und ordentlich sind, zum Beispiel hinsichtlich der Soundqualität im Club, aber auch sehr positiv auf meine Musik reagiert haben.

Was hast Du aus der bisherigen Corona-Phase mitgenommen?
Johannes Brecht: Dass man eine gewisse Gleichgültigkeit entwickeln muss. Vieles, worüber ich mir vorher einen Kopf gemacht habe, ist letztlich auch egal. Ich habe gelernt, mich anders zu fokussieren und Prioritäten genauer zu definieren.

Welche musikalischen Prioritäten hast Du Dir denn dann für Deine Zukunft gesetzt?
Johannes Brecht: Ich war gerade in Berlin und habe dort mit meinem Trio viel elektronische Musik aufgenommen, die ein bisschen in die Dub-Richtung geht. Das ganze Material muss ich jetzt mal sortieren und editieren, damit am Ende vielleicht eine Stunde übrig bleibt. Dieses Projekt will ich in nächster Zeit zum Leben erwecken, sodass ich dann mit dieser kleinen Kapelle auch mal auf Live-Tour gehen kann. Von mir selbst kommt zudem noch eine EP auf Siamese Records, auf der drei Tracks enthalten sein werden.

Ein Album ist nicht in Planung?
Johannes Brecht: Wo ist das Album? Eine sehr gute Frage (lacht). Ich habe definitiv Lust darauf, denn eigentlich muss man als Künstler zumindest ein Album veröffentlicht haben. In der heutigen Streamingzeit ist das natürlich etwas komplizierter, aber der Gedanke schlummert selbstverständlich in meinem Hinterkopf. Einen konkreten Zeitplan gibt es allerdings noch nicht.

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Bilder zur Verfügung gestellt von Johannes Brecht und Ballyhoo Media