Hanne & Lore: Die Namensverlustierer

Seltsame Namen sind in der deutschen Elektrolandschaft an der Tagesordnung. Doch einen der merkwürdigsten haben definitiv Steffen und Stefan: Hanne & Lore. Wirklich? Egal, Hauptsache, der Sound passt. Und hier kann die Hannelore in jedem Fall liefern. Drückende Partybeats soweit die Ohren reichen. Mittlerweile haben sie auch ihr eigenes Label. Der Name klingt, Überraschung, Überraschung, leicht feminin. Oder doch nicht?

Von Sebastian Binder  

Mal ehrlich: Warum sollten sich zwei Männer einen Frauennamen geben? Noch dazu einen derart altmodischen? Und seit der Ära Kohl auch noch biederen, duckmäuserischen, einfach schrecklich spießigen? Kein Mensch würde heutzutage sein Kind mehr so nennen. Es sei denn, die Eltern wollen das Kind schon für zukünftige Schandtaten bestrafen. Nun ist die Elektrowelt ja bekannt für seltsame DJ- und Bandnamen: Monkey Safari, AKA AKA oder Montag Morgen, um nur einige zu nennen. Aber Hanne & Lore? Hannelore? Das ist doch wirklich mehr als merkwürdig, oder? Wer hat denn bei diesem Namen nicht gleich das Heimchen-am-Herd Hannelore Kohl im Hinterkopf, wie sie ihrem korpulenten Helmut seinen geliebten Saumagen serviert? Und was hat das bitte mit elektronischer Musik zu tun? Oder ist etwa eine andere Hannelore gemeint? Hannelore Elsner, Hannelore Kraft, Hannelore… Okay, Schluss damit. Dieser Name macht mich fertig und wenn ich noch länger darüber nachdenke, dann bekomme ich diesen Text wohl niemals auf die Reihe. Eine letzte Idee: Hanne & Lore kommt von Hannes, dem Lorenfahrer? Auch nicht? Ich geb‘s auf.

Egal, kommen wir zum Wesentlichen. Wir schreiben das Ende des 20. Jahrhunderts, Frankreich ist amtierender Fußballweltmeister und die Erde schwelgt in gelassener Y2K-Hysterie. Zu dieser Zeit lernen sich Steffen und Stefan in der Discothek „Kick“ im beschaulichen Herford hinter den Turntables kennen. Doch es dauert noch bis zum Jahr 2007, bis die beiden beschließen, ein gemeinsames Projekt ins Leben zu rufen. Wer aber nun denkt, dass es ab diesem Zeitpunkt sofort geflutscht ist, sieht sich enttäuscht. „Es war anfangs so, dass wir nach den ersten drei bis vier Tracks, die wir produziert haben, feststellen mussten, dass diese soundtechnisch nie in unsere DJ-Sets passten, da die Stilrichtung in keinster Weise harmonierte. Sprich, wir haben Sound produziert, den wir selber gar nicht auflegen wollten“, verraten die beiden im Interview mit House2Electro. Entschuldigung, was ist los? Was soll das heißen „nicht harmonierte“? Wie will man dann bitte ein erfolgreiches Elektro-Projekt auf die Beine stellen? „Dies führte dazu, dass sich in einer anschließenden Studio Session mal komplett hemmungslos gehengelassen wurde und am Ende des Tages etwas dabei rauskam, das wir beide toll fanden und sogar in unsere DJ Sets integrieren konnten.“ Ah, schon besser, denn Integration ist wichtig.

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2009 releasten sie auf Super Flus Monaberry Label ihren ersten Track „An der Waterkant“ und das Akkordeon, das über das gestörte Sprach-was-auch-immer-es-ist-Sample chantiet, nimmt einen direkt mit auf die Schifffahrt an den Rand des Wahnsinns. Es folgten weitere Tracks, die neben ordentlich krawallig-durchdrückenden Beats und vertrackten Melodien vor allem eines gemeinsam hatten: Nicht zu merkende Namen. „Barifistu“, „Der Gitarrenwemser“, „Und die Schufa-Klausel“, „Hinterhalt in Silver City“ oder „Bonanza Beat Bambule“. Steffen hat hierfür eine äußerst einleuchtende Erklärung: „Ich hatte schon immer eine eigene Sprache und habe als kleiner Junge schon immer verrückte und sinnentleerte Wörter erfunden. Umso mehr freue ich mich, dass ich nun die Möglichkeit habe, diese auf eine stetig wachsende Zielgruppe loszulassen, welche sich dann Gedanken um deren Sinn macht.“ Nun ja, das habe ich längst aufgegeben, außer bei einem Lied: „Morgens Fango Abends Tango“. Denn ich schmeiße mir morgens auch gerne eine schöne Packung Vulkanschlamm (Fango) auf die runzlige Haut, um abends im Club gutaussehend über die Tanzfläche flanieren zu können (Tango). Gibt es irgendjemanden, der das nicht so macht? Wenn dann noch der „Schnabelklopper“ aus den Boxen hämmert, sind mein Fango und Tango absolut mit sich im Reinen.

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Es ist dabei interessant zu sehen, dass Steffen und Stefan ihre Edits von Tracks anderer Künstler nicht mit verwirrenden Namenszusätzen versehen, sondern diese stets ganz schnöde „Hanne & Lore Remix“ heißen. Ich frage mich, woran das liegt. Mangelnde Kreativität kann es offensichtlich nicht sein, denn remixtechnisch geht bei der Hannelore ebenfalls einiges nach vorne. Wer sich davon mal ein Bild machen möchte, dem seien zum Beispiel ihre Edits von Nat Selfs „Madam Bazooka“, Jaxson & David Kenos „Difference“ oder natürlich Andhims „Like A Wirsing“ ans elektrisch-pulsierende Herz gelegt.

Mittlerweile sind die beiden nun auch zu Labelchefs aufgestiegen mit ihrer Neugründung „Heulsuse“. Schon wieder so ein feminisierter Name, ich werd‘ einfach nicht schlau aus euch, Jungs. Obwohl, im Jahr 2013 ist es ja an der Tagesordnung, dass auch Männer ihre Gefühle via Tränen zeigen. Vielleicht ist der Name gar nicht so feminin. Was soll’s, wie steht‘s mit dem Sound des neuen Labels? „Wir haben uns in dieser Hinsicht nicht festgelegt – der Sound muss uns einfach gefallen und vor allem mitreißen. Da sich auch unser privater Musikkonsum durch Facettenreichtum auszeichnet, wird es sicher vorkommen, dass Unerwartetes dabei herausspringt. So können die Sounds gerne die Ufer des weiten House- und Techno-Genres verlassen“, erzählen die beiden im Interview mit mysmag.de. Einen ersten Eindruck vom Heulsusen-Style kann man sich mit der ersten EP „Magdaria/Malena“ verschaffen. Vor allem der Niconé & Gunjah Remix von „Magdaria“ drückt brutal aufs Kleinhirn, aber auch die anderen drei Tracks haben durchaus was für sich. Man darf also gespannt sein, was der Hanne und die Lore noch so über ihr Label rausdrücken werden. Ein Beitrag zur Frauenquote, die in der deutschen Elektrowelt ohnehin chronisch unterrepräsentiert ist, wird es auf jeden Fall sein.

Aber jetzt nochmal ernsthaft, warum Hanne & Lore? „Lore heißt als DJ schon die letzten 15 Jahre ‚Lore‘. Als wir uns 2007 entschlossen haben, ein gemeinsames Projekt ins Leben zu rufen, waren einige Namen im Gespräch. Im Endeffekt haben diverse Sachen zu ‚Hanne & Lore‘ geführt.“ Aber seid ihr da nicht, naja, erst mal komisch rübergekommen? „Natürlich sind wir mit dem Namen nicht immer und überall angenehm aufgefallen! Als wir das erste Mal auf einer Kiddaz Party im Berliner Tresor aufgelegt und dort Holgi Star kennengelernt haben, hat der uns gleich ausgelacht mit so `nem bescheuerten Namen.“ Ach ja, irgendwie kann ich den Holgi da durchaus verstehen…