„Meine Musik soll euphorisieren, drücken, Appetit anregen“

Wolfgang Lohr ist eine Person, die sich ausdrücken kann. Nicht nur soundtechnisch, sondern auch mit Worten. Im Interview mit elektro-chronisten.de spricht er über sein Soundverständnis, seine Live-Perfomances und seinen Hang zu kreativen Wortspielen. Außerdem erzählt er von den Arbeiten zu seinem neuen Album und warum ein Ska-Musiker überhaupt in der elektronischen Musikwelt gelandet ist.

Von Sebastian Binder  

Wolfgang Lohr kann nicht nur mit seinen Produktionsgeräten im Studio oder seinen Controllern auf der Bühne umgehen. Er versteht auch etwas davon, sich zu artikulieren. Ein Grund für elektro-chronisten.de, das Gespräch mit ihm in einer stilistisch leicht abgewandelten Form zu schreiben. Den Beginn eines jeden Frage-Antwort-Blocks bildet ein Track-Titel von Wolfgang Lohr, der den folgenden Gesprächsausschnitt unter ein bestimmtes Motto stellt.

Kaffeeklatsching: Hier sind sie, die zwei Plaudertaschen. Die sich unterhalten. Über dies und das, alles und jenes, Wichtiges und weniger Unwichtiges. Hat man sich etwas zu sagen oder wartet man nur, dass niemand nicht nichts mehr sagt? Elektronisch unterlegtes Kaffeeklatsching belebt das Gesprochene ohne es zu verderben. So viel scheint klar.

 

Wie bist Du zur elektronischen Musik gekommen?

Wolfgang Lohr: Das ist schon lange her. Ich komme ursprünglich aus der Ska-Richtung, habe aber immer schon andere Genres geliebt, wie House, Techno, Drum’n’Bass, Swing, Jazz, Rocksteady und Northern Soul. Ich mag Musik, die mich euphorisiert, fetten Sound hat, flott abgeht und tanzbar ist. Es hat für mich nach dem Ende der 90er Housewelle ein paar Jahre lang keinen guten elektronischen Musikstil gegeben, oder ich habe ihn einfach nicht entdecken können, bis auf wenige Ausnahmen. Durch meinen Ortswechsel von Lübeck nach Berlin hat mich dann aber der TechHouse Sound, speziell von Format:B, komplett abgeholt und erwischt.

Du kommst ja eher aus der Live-Instrumentalecke. Wann hast Du dich entschieden, einen Fokus aufs Produzieren zu legen?

Wolfgang Lohr: Das war vor ungefähr zweieinhalb Jahren. Es stimmt, ich war vorher über 15 Jahre in einer Skaband als Trompeter, Sänger und Songwriter musikalisch aktiv. Nebenbei habe ich dennoch eigene Musik am Sequenzer produziert, ganz zu Anfang tatsächlich noch auf dem Atatri ST, mit 512 Kilobyte Arbeitsspeicher, Cubase 2.0, einem schwarz-weiß Monitor und diversem Hardware Equipment im Verbund. Mein Fokus lag dabei auf HipHop, Trance und House.

Worauf kommt es Dir beim Produzieren an?

Wolfgang Lohr: Ich bin sehr selbstkritisch und es dauert seine Zeit, bis ich einen Groove gebaut habe, der mir wirklich gefällt. Da frickel ich auch gerne mal Stunden oder Tage rum, bis ich die passenden Elemente finde. Mittlerweile geht es aber wesentlich schneller. Ideen entstehen vorher in meinem Kopf und lassen sich dann sofort in die Digital Audio Workstation übertragen. Vorher war ich technisch noch etwas limitierter und recht verzweifelt, wenn es nicht so fett klingen wollte, wie ich es mir vorstellte oder ich gar nicht wusste, wie ich es überhaupt umsetzen kann.

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Wie würdest Du Deinen heutigen Sound in ein paar Worten beschreiben?

Wolfgang Lohr: Meinen aktuellen Sound würde ich mit ein paar Worten so beschreiben: Bassline-orientiert, mit organischen Instrumenten angereichert, treibender Groove, gepitchte Vocal-Shots, melodisch, detailreiche Breaks, erfrischende Fills und akribisch ausgearbeitete Arrangements, mit einer Prise guter Laune oben drauf. Meine Musik soll das Tanzbein euphorisieren, im Club drücken, zu Hause Appetit anregen und vor allen Dingen den Menschen Spaß bringen.

Das sind ja eine ganze Menge Worte…

Die Nacht an sich: Bekannt und geheimnisvoll ist sie, die Nacht, sie scheint sich nie zu verändern und doch wechselt sie stets ihre Gestalt. Sie ist immer so neu wie alt, man meint sie zu kennen, auch wenn man sie in ihrem heutigen Aussehen nie zuvor gesehen hat.

 

Du remixed ja unterschiedlichste Sachen. Johannes Brahms, Michael Jackson oder Acts, die man eher erwartet, wie Lexer. Wo ist der Zusammenhang in der Auswahl?

Wolfgang Lohr: Es gibt eine Menge Sachen, die mir über den Weg laufen und durch die Ohren sausen, die ich gerne mal remixen würde, also eine eigene Interpretation im Clubgewand basteln würde. Da es aber doch recht viel Arbeit ist, kann ich mich leider nur für wenige Sachen entscheiden. Das passiert irgendwann spontan und emotional, ich lege dann sofort los und wühle mich bis zu einem zufriedenstellenden Endergebnis durch. Michael Jackson habe ich früher als jugendlicher Bengel gerne gehört und der Hungarian Dance No. 5 von Johannes Brahms war eine Steilvorlage, da sich die treibenden Streichermelodien des Stückes perfekt angeboten haben, mit einer Polka Bassline und meinem virtuellen Orchester, in einen Crowd Pleaser für den Club umgestylt zu werden. Das sind die Bootleg-Remix-Geschichten, die ich auf jeden Fall einem unaufwendigen Edit vorziehe.

Wie gehst Du an einen Remix ran? Musst Du im Original bereits etwas erkennen, das Dir zusagt und mit dem Du dann in der Folge arbeitest?

Wolfgang Lohr: Anhand der Stems, also des Remix-Packs, entscheide ich, ob die Bandbreite sich für eine Sause eignet und ob ich damit was anfangen kann. Für mich sollte ein Remix immer eine neue und eigene Interpretation des Original Mixes sein, eine alternative Option für den DJ, die entweder mehr nach vorne geht oder etwas ruhiger grooved, das entscheidet sich tatsächlich bei mir immer vorher im Kopf oder direkt beim Bauen. Natürlich muss das Original trotzdem noch zu erkennen sein und markante Elemente beinhalten. Ich bin mir dabei übrigens nicht zu schade, auch mal die Tonart zu wechseln oder neue Akkorde drunter zu legen.

Hirnholzraspel: Wenn wir Worte in neologistischer Spielart zu neuen Geschöpfen zusammenschweißen, entsteht nicht selten etwas, das den Rezipienten zunächst einmal fraglos ratlos zurücklässt. Was will der Künstler im soundtechnischen Überschwang den Menschen mitteilen? Wo liegt das Geheimnis in den Sätzen der Klangfarben?

 

Du wählst für Tracktitel zumeist ziemlich verspulte Namen und Wortspiele. Wie bist Du zum Beispiel auf den irren Namen „Hirnholzraspel“ gekommen?

Wolfgang Lohr: Ich bin ein großer Freund von Worten, Wortspielen und des schwarzen Humors. Ein guter Kumpel von mir und ich hatten uns schon vor längerer Zeit über den Begriff „Hirnholz“ kaputt gelacht. Erst dachten wir es, wäre eine eigene Kreation, bis uns die Google-Recherche eines besseren belehrte. Da ich dann diese herrliche Holzart definitiv als Titelnamen eines Tracks von mir verwenden wollte, bot sich diese Produktion irgendwie perfekt für mich an, in Kombination mit einer Raspel, die ich auch tatsächlich selbst aufgenommen und als Shaker in diesem Stück eingesetzt habe. Übrigens trage ich meine Reime und Wortspiele gerne mal nach draußen. (Wer sich davon ein Bild machen möchte: 10. Video in der Playlist)

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Du definierst Dich auf der Bühne nicht als DJ, sondern als Live-Performer. Wie baust Du Deine Sets auf?

Wolfgang Lohr: Ein Liveset zusammenzustellen ist eine Menge Arbeit, es besteht konsequent nur aus eigenen Tracks, die in Einzelteile zerlegt und live komplett neu arrangiert werden. Doch macht man sich einmal die Mühe, alles einzurichten und die Hardware-Controller auf seine Bedürfnisse zu mappen, dann steht es im Grunde genommen für die Ewigkeit. Es kommt dann nur noch auf die Fingerfertigkeiten und spontane Kreativität an, die sich durch die Atmosphäre des Clubs und die Stimmung des Publikums ergeben.

Besteht hier nicht die Gefahr, dass auf der Bühne auch mal etwas schiefgeht?

Wolfgang Lohr: Sicherlich geht live viel schief und man ist etwas eingeschränkt im Gegensatz zu den DJs, die fertige Mixdowns ablaufen lassen, die professionell gemastert und arrangiert sind. Ich habe jedoch die Option, meine Tracks individueller an die jeweilige Situation anzupassen und ich kann viele Elemente aus meinen Songs neu miteinander kombinieren. Dadurch ergeben sich dann manchmal völlig neue Stücke, quasi Unikate die es in dieser Form auch nie zu kaufen geben wird. Es hat Vor- und Nachteile, live zu spielen, aber die Herausforderung ist größer und gestaltet sich wesentlich spannender. DJing beherrsche ich nicht, daher habe ich großen Respekt vor dem Auflegen mit Plattenspielern und es kann auch eine Kunst für sich sein, wenn man es auf die Spitze treibt. Aber bisher gab es für mich noch keinen wirklichen Reiz und Anlass, das zu praktizieren.

Affenstillstand Evolution: Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran. Nie soll der Sound stillstehen, er braucht Entwicklung, immer weiter, höher, besser, lauter, treibender, nachdenklicher. Der Menschenaffe in der Musik, die Musik des Menschenaffen.

 

Auf Deiner Facebook-Seite ist zu lesen, dass Du an einem Album arbeitest.

Wolfgang Lohr: Tatsächlich arbeite ich seit Anfang Januar 2013 an meinem ersten Album. Die Hälfte habe ich schon im Kasten, zumindest das zugrundeliegende Layout der Tracks. Feintuning, Mix und ausgefeiltes Arrangement fehlen allerdings noch. Aber ich habe ausreichend Ideen, viel recherchiert, was Samples und neue Einflüsse anbelangt und auch schon ein gesamtes Konzept ausgearbeitet. Es wird sehr abwechslungsreich sein und durch die Genres Tech House, Deep House, Minimal und Electro Swing switchen. Zusätzlich werden ein paar Live-Musiker das Album veredeln: Geplant sind Studioaufnahmen mit der Sängerin Miss NatNat, dem Sänger und Gitarristen Nils Gariboff und dem Pianisten und Keyboarder Tinush. Zudem würde ich auch gerne noch ein Saxophon, Posaunen und Percussion-Elemente live einspielen lassen. Es werden noch ein paar Stunden, Tage, Wochen und Monate vergehen, bis die letzte Frequenz geschliffen ist, aber im Sommer sollte das Album schon noch erscheinen. Der genaue Termin und das Label sind bis dato noch völlig unklar. Fest steht: Vinyl ist Pflicht.

Aber bis dahin ist doch mit keiner Wolfgang-Lohr-Dürre zu rechnen, oder?

Wolfgang Lohr: Nein, nein. Es stehen noch zwei Remixe vor der Tür, die in Kürze  produziert werden wollen. Des Weiteren sind bereits die Remixe für Artenvielfalt und Lexer im Kasten. Außerdem kommt eine eigene EP bei Ostfunk Records an den Start, die demnächst in den Vinyl-Vorverkauf geht und dann später auch in den Online-Shops zu finden sein wird. Eine Kollaboration mit incontrol aus Lyon steht kurz vor der Finalisierung. Es wird eine Single/EP mit zwei Elektro-Swing-Tracks geben, an Bord haben wir hierfür Remixe von Shemian und Grand Lazlo. Außerdem habe ich gerade mit meinem Buddy KlangKuenstler einen Remix für Alle Farben im Studio produziert. Ich finde, das reicht vorerst mal, denn dann steht hoffentlich mein Album bereits in den Startlöchern.

Der Morgen danach: Stille breitet sich aus, die Stimmen schweigen, zerkratzt von den Worten, die in der Unendlichkeit konserviert wurden. Nur die Boxen fangen langsam wieder vom Sound an zu zucken. Als könnten Worte ihren Klang jemals ersetzen…

 

Fotos by Alexander Malecki

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