Nils Hoffmann: Verwunschene Ballons

Es ist erstaunlich und erfreulich gleichzeitig, wie viele junge, talentierte Elektroproduzenten derzeit in Deutschland aus dem Boden sprießen. Nils Hoffmann ist eines der besten Beispiele für diese Gattung. Mit „Balloons“ landete er einen echten YouTube-Hit, doch er ruhte sich keineswegs auf diesem Erfolg aus. Mit seiner ersten EP und einigen starken Remixen zeigt er, dass deutlich mehr als ein paar Luftballons in ihm stecken.

Von Sebastian Binder  

1,3 Millionen ist eine stattliche Zahl. Sie entspricht der Einwohnerzahl Münchens, dem Verdienst eines durchschnittlichen DAX-Konzern-Vorstands oder der Anzahl Alkoholabhängiger in Deutschland. 1,3 Millionen beträgt aber auch die Klickzahl des Videos „Balloons“ auf YouTube (Stand: Februar 2013). In Zeiten, in denen knapp 60 Stunden Material pro Minute auf die Videoplattform hochgeladen werden, eine durchaus erstaunliche Marke. Noch erstaunlicher wird es allerdings, wenn man feststellt, dass der Produzent von „Balloons“, Nils Hoffmann, noch nicht einmal 18 Jahre alt ist und bereits in diesem jungen Alter einen echten YouTube-Hit gelandet hat. Weniger erstaunlich wird dieser Umstand jedoch, wenn man sich den Track von Anfang bis Ende auf der Zunge zergehen lässt. Bereits die ersten „Oh‘s“ und „Ah‘s“ ziehen das elektrofreundliche Trommelfell in ihren Bann und kaum jemand wird das Bedürfnis haben, das Lied schon vor dem letzten Kick zu beenden. Eher ist es so, dass man nach gut acht Minuten denkt: „Oh, schade, schon vorbei? Ah, ich sollte es nochmal laufen lassen.“

Es ist faszinierend zu sehen, wie viele talentierte Elektro-Produzenten es in Deutschland doch gibt, von denen die meisten zwar noch nicht Autofahren oder eine Schachtel Zigaretten kaufen dürfen, aber eben doch schon eine wirkliche Vorstellung davon haben, wie sich guter Elektro anzuhören hat. Jonas Mantey ist hierfür ein sehr gutes Beispiel. Und eben auch Nils Hoffmann. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang überdeutlich: Erfahrung ist bei der Musikproduktion eine wichtige Sache, aber der entscheidende Faktor ist nun einmal Talent. Wenn man kein Talent hat, wird man auch nach 20 Jahren Produktionsarbeit keine anhörbaren Tracks zustande bringen. Hat man umgekehrt eine Menge Talent, braucht man mit den heutigen technischen Möglichkeiten nicht lange, um erstens anhörbaren Sound zu kreieren und zweitens diesen Sound dann über das Internet bekannt zu machen. Hoffmann ist hierfür das beste Beispiel. Das soll aber über eines nicht hinwegtäuschen: Auf einen, der es schafft, kommen hundert, die es, zu recht oder zu unrecht, nicht schaffen. Die elektro-musikalische Internetgemeinde hat in der Regel ein sehr feines Gespür dafür, welche Musik etwas taugt und welche nicht. Wenn also ein Lied auf YouTube 1,3 Millionen Hits hat, ohne durch irgendwelche Medien oder auf andere Weise gepusht worden zu sein, dann kann man davon ausgehen, dass es sich hier um richtig guten Sound handelt. Nun erscheint „Balloons“ somit folgerichtig in einer leicht bearbeiteten Version als offizielle Single und die Produzentengrößen Martin Roth und AKA AKA & Thalstroem steuern Remixe bei. Wem das nicht Gütesiegel genug ist, der sollte sich vielleicht doch lieber die Luftballons von Nena anhören.

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„Balloons“ war der Durchbruch für Hoffmann, doch es wurde schnell klar, dass es sich bei ihm nicht um ein Elektro-One-Hit-Wonder handelt. Denn Hoffmann ruhte sich keineswegs auf seinen Luftballon-Lorbeeren aus, sondern legte nach und zwar massiv. Auf Lochmann Records releaste er 2012 seine erste EP „Verwunschen“ und stürzte die Hörer mit dem titelgebenden Track in eine Entspannungsextase, aus deren Rausch man nicht mehr aufzuwachen wünscht. Dass er es auch anders kann, zeigte er hingegen mit dem zweiten auf der EP enthaltenen Song „Bosporus“. Eine extrem anschiebende Tech-House-Nummer, die einen aus der Verwunschen-Halluzination abrupt herausreißt und nur noch denken lässt: „Wo zur Hölle ist die nächste Tanzfläche? Kann…nicht…mehr…stillstehen.“

Hinzu kommt eine wahre Flut an Remixen, die selbst einen Vielmixer wie René Bourgeois vor Neid erblassen lassen könnte. Ein besonders feiner Wurf ist Hoffmann dabei mit seinem Edit von Trentemøllers „Miss You“ gelungen, aber auch seine Interpretation von Adanowskys „You‘re The One“ schreit förmlich danach, die Beine hochzulegen und für ein paar Minuten allen Stress und alles Generve dieser Welt zu vergessen. Wer nach so viel Entspannung allerdings Lust hat, nochmal ordentlich einen durchzustampfen, der sollte sich den Nils Hoffmann Remix von Grieche & Vokals „Harley David Son“ anhören, der wohl sogar den Tanznachmittag im Seniorenheim zum Kochen bringen würde. Es gehört außerdem eine ganze Portion Mut dazu, wenn man sich in diesem Alter an Lieder eines musikalischen Genies wie Yann Tiersen herantraut. Doch Hoffmanns Version von „Comptine d‘un autre été“, bekannt aus „Die fabelhafte Welt der Amelie“, funktioniert tatsächlich und insbesondere dann, wenn die Crash-Becken anfangen, durch das Lied zu krachen, erkennt man, dass man es hier mit einem echten musikalischen Talent zu tun hat.

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Wenn man bereits in jungen Jahren ein gefragter Produzent ist, dann hat das noch einen weiteren Vorteil: Irgendwann wird man gefragt, ob man seinen Sound nicht auch mal vor Publikum auflegen möchte und so kommt man in Clubs, in die der „Durchschnitts-Jugendliche“ erst mit 18 hinein darf. Nils Hoffmann hat sich dieses Privileg erarbeitet und hat mittlerweile mithilfe der Seelensauna-Leute eine beachtliche Tourliste von Berlin über Hamburg nach Wien in seinen Lebenslauf integriert. Aber warum gibt es noch immer kein downloadbares Set auf Soundcloud von Dir, Nils? Hallo, nicht alle Leute wohnen in Berlin oder Wien, aber wollen trotzdem mal einen Mix von Dir hören. Also, wenn ich Dein Klassenlehrer wäre, würde ich Dich erst einmal nachsitzen lassen, bis diese Aufgabe erledigt ist. Aber bis auf diesen kleinen Tadel bekommst Du in Musik erst einmal ein „Sehr gut“. Wir wollen hoffen, dass das so bleibt, lieber Nils Hoffmann, denn Du stehst unter elektro-chronistischer Beobachtung. Aber bei einem Elektro-Streber wie Dir machen wir uns da mal keine großen Sorgen…

Foto by Ricarda Müller